Mozarts letzte Arie
Behandlungsmethoden, keine echten Wissenschaftler. Ihm fiel nichts anderes als Aderlassen und Schröpfen ein. Öffnete dem armen Kerl die Venen und schwächte ihn dadurch erheblich zu einem Zeitpunkt, an dem er seine ganze Kraft gebraucht hätte. Quälte ihn, indem er ihm heiße Gläser auf den Leib setzte – um, wie er sagen würde, den schlechten Brodem abzusaugen.»
Die Totenmaske schrie mir wieder ihren Schmerz zu.
Sallaba grinste. «Er hat mir auch erklärt, in Maestro Mozart hätte sich zu viel schwarze Galle angesammelt. Nach der antiken Theorie des Hippokrates gibt es in unseren Körpern ein Gleichgewicht zwischen Blut, Schleim und gelber und schwarzer Galle. Wenn eins dieser Elemente überhandnimmt, werden wir krank. Closset war der Ansicht, Maestro Mozarts schwarze Galle sammele sich in einem Teil seines Gehirns. Deshalb ließ er ihn zur Ader und verabreichte ihm Brechmittel – damit die schwarze Galle daran gehindert würde, zum Gehirn zu fließen.»
«Er ließ Wolfgang erbrechen?», stammelte ich.
«In großen Mengen.»
Ich stieß ein Wimmern aus. Swieten schnalzte mit der Zunge und funkelte Sallaba an.
Beschämt scharrte der Doktor mit den Füßen auf dem Boden. «Er ist gleich darauf gestorben. Man könnte behaupten, Doktor Closset habe ihn umgebracht. Aber wahrscheinlich konnte Closset gar nichts tun. Weil er keine Erfahrung mit Giften hat.»
Der Doktor schüttete aus einem Steinkrug ein paar Tropfen in eine Pfanne mit Flüssigkeit, die zu sieden begonnen hatte. Der Schwefelgeruch stellte sich wieder ein.
«Also wurde Wolfgang – er starb an Gift?», sagte ich.
«O ja, höchstwahrscheinlich», sagte er. «Das ist mein Spezialgebiet,müssen Sie wissen. In meiner Eigenschaft als Vorsitzender der forensischen Medizin an der Universität habe ich eine Studie über Gifte erstellt.»
«Womit wurde er vergiftet?»
«Tja, nicht mit Quecksilber. Das hätte sogar Closset gemerkt. Schlechter Atem, wolkiger Urin, Schweißausbrüche. Man findet die gleichen Symptome beim gewöhnlichen Syphilitiker, dem zu viel Quecksilber in den Knochen steckt, um die Krankheit zu bekämpfen.»
«Doktor, eine Dame ist anwesend», sagte Swieten.
Sallaba blickte von der brodelnden Pfanne auf, als hätte er vergessen, dass ich da war. «Durchaus, durchaus», sagte er. «Zum Schluss hat der arme Mozart halluziniert. Er glaubte, in einer Aufführung der
Zauberflöte
zu sein. Er sagte: ‹Ruhe, die Königin der Nacht stimmt das hohe F an. Hört nur, sie singt ihre zweite Arie. Wie kraftvoll sie das B trifft und hält.› Die ganze Zeit starrte er aus dem Bett heraus, als wäre er in einem Theater und nicht in einem Sterbezimmer. Armer Kerl.»
«Doktor, womit wurde er denn vergiftet?»
«Acqua Toffana.
Arsen, Blei und Belladonna.», sagte Sallaba. «Geschmacklos, farblos. Tödlich.»
«Wie können Sie sich da so sicher sein?», fragte ich.
«Nun ja, es gab keine Autopsie, aber die pathologischen Befunde einer Vergiftung waren offenkundig.»
«Und das Frieselfieber?»
«Mein Diener hat einige Tage lang darunter gelitten. Es scheint ihm wieder gut zu gehen.» Der Doktor rief durch den Flur. «Ignaz, hast du halluziniert? Brennender Schmerz in Mund oder Kehle?»
Aus der Küche antwortete die polternde Stimme des Dieners. «Nein, mein Herr.»
«Leibschmerzen? Muskelkrämpfe?» Der Doktor wandte sich an mich. «Ich kann garantieren, dass er keine Krämpfehatte. Der alte Knabe bewegt ja kaum noch einen Muskel. Wenn Sie sich jedoch seine Haut ansehen, sehen Sie den Ausschlag wie Hirsekörner, den Doktor Closset auf der Schwarzen Liste Ihres Bruders vermerkte.»
«Schwarze Liste?»
«Der Totenschein.» Swieten hustete. «Doktor, irgendetwas hier drinnen irritiert meine Atmung.»
Sallaba roch an der siedenden Flüssigkeit in der Pfanne. «Tatsächlich. Das ist ja interessant.»
«Was ist es?»
«Etwas, das ich derzeit erforsche. Es reizt Ihre Lungen, nicht wahr?»
«Ja. Sehr stark.»
«Gut, gut. Wissen Sie, über einen längeren Zeitraum ist es recht giftig. Aber ich finde es interessant, dass es auf Sie eine so unmittelbare Wirkung hat …»
Ich stürzte, vorbei am ungemachten Bett des Doktors, aus dem Zimmer zur Küche und Eingangstür.
«Warten Sie!», rief der Doktor. «Wollen Sie denn nicht die Totenmaske?»
Ich lehnte mich draußen über die Galerie und hielt mir den Bauch. Ein kalter Luftzug wirbelte über den Hof, aber der diabolische Gestank von Sallabas Giften saß mir immer noch in der Kehle. Swietens
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