Mozarts letzte Arie
Kopfschmuck wirkte. In seinen kurzen Fingern hielt er ein Tuch, mit dem er eine Brille putzte. Die Augen wölbten sich aus den Höhlen, als stünde er kurz vorm Tod durch Strangulieren. Er setzte sich die Brille auf die Nase, und seine Augen verschwanden hinter den dicken Linsen.
«Aha, mein lieber Baron van Swieten», sagte der Mann. «Ich bitte um Vergebung, sollte ich Sie irgendwie schockiert haben.»
«Was war das für eine Explosion?», sagte Swieten.
«Ich suche nach einem Mittel gegen Zahnschmerzen.»
«Mit explosivem Material?» Swieten beugte sich über die Tiegel und Flaschen auf dem Tisch.
«Mit Licht.»
Der Diener stieß den letzten Fensterladen auf. In einem Käfig unter dem Tisch hockten ein Dutzend Kaninchen auf schmutzigem Stroh.
«Alles besteht nur aus Licht und sonst gar nichts. Auch Ihre Zähne», sagte der kleine Mann und schob sich die Brille auf der Nase hoch. «Es werde Licht. Unsere Heilige Bibellehrt uns, dass es vor dem Licht nichts gab als den Geist Gottes. Diese Wand, diese Bank, Sie selbst – alles nur kondensiertes Licht.»
«Und deshalb dieses Experiment?»
«Ach, nun ja, aber der Blitz eben war ein außerordentlicher Effekt, den ich nicht vorhergesehen habe. Beim letzten Mal ist das nicht passiert, jedenfalls nicht so heftig. Kurios, höchst kurios.» Der Mann langte unter seine Perücke und kratzte sich im Nacken.
Swieten nickte in meine Richtung. Der kleine Mann beeilte sich, mir die Hand zu küssen.
«Doktor Matthias Sallaba, zu Ihren Diensten, Madame», sagte er. Seine Wangen waren hellrosa. Trockene, daumennagelgroße Hautfetzen hingen um seine Mundwinkel. Sein Gesicht sah aus wie der Keller eines armen Mannes, fleckig und vernachlässigt, bei dem unterm bröckelnden Putz die Mauerziegel sichtbar wurden. Er merkte, dass ich diese Mängel registrierte, und rieb sich wieder den Nacken. «Ich habe eine kleine Quecksilbervergiftung, Madame. Keine Sorge. Sie ist nicht ansteckend. Das Ergebnis einiger Experimente hier in meinem Laboratorium.»
«Dann müssen Sie mit Ihren Experimenten aufhören», sagte ich.
Er sah Swieten lachend an, der sein Lächeln erwiderte.
«Dann werde ich nie den Zahnschmerz besiegen.» Sallaba riss seinen Mund weit auf und deutete auf seine Zähne. Sie waren mit silbergrauen Klumpen übersät. «Dentalamalgame, Madame. Ich behalte meine eigenen Zähne im Mund und darf deshalb ungestraft die süßesten Speisen essen.»
Swieten legte dem Doktor seine Hand auf die schmalen Schultern. «In ein paar Jahren, mein lieber Sallaba, wird Sie das Gift umbringen. Aber wir werden Sie mit all Ihren Zähnen zu Grabe tragen.»
Der Doktor lachte herzlich, begann dann jedoch zu zittern, als schüttelte ihn ein Krampf. Er klatschte in die Hände. «Sie sind wegen der Totenmaske Ihres Bruders gekommen, Madame?»
Ich starrte ihn an. Er verstand mein Schweigen wohl als Überraschung darüber, dass er mich erkannt hatte.
«Ich habe Maestro Mozart erst während seiner letzten Tage kennengelernt, Madame, als sein Gesicht ein wenig geschwollen und es mit ihm nicht mehr zum Besten bestellt war», sagte der Doktor, «doch ist mir völlig klar, wer Sie sind.»
Er winkte mich in eine Zimmerecke.
Neben einem baumelnden Skelett lag auf einem Sideboard ein grauer Gipsabdruck von Wolfgangs Gesicht. Unterm Kinn war es voller, als ich es in Erinnerung hatte, doch bemerkte ich die Kerbe zwischen den Augenbrauen, die auch ich habe. Auch die lange, an der Spitze etwas zu breite Nase war wie meine. Er war jetzt ruhig und friedvoll, die Augen geschlossen, doch konnte der Abdruck nicht das Leiden kaschieren, das er am Ende seines Lebens ertragen haben musste. Plötzlich schien mir, als schlüge er die Augen auf und öffnete weit seinen Mund, um vor Schmerz aufzuschreien.
Ich griff mir an die Brust.
Der Doktor beugte sich über die Totenmaske. Swieten legte beruhigend die Hand auf meinen Ellbogen.
«Ich bin mir sicher, dass ich dir hätte helfen können, armer Kerl.» Sallaba strich mit seinem farblosen Finger sanft über die Maske. «Man hat mich erst kurz vorm Ende konsultiert. Aber da war es zu spät für dich.»
«Sie hätten mir helfen können?», sagte ich.
«Was?», erwiderte der Doktor.
«Ihm, meine ich. Sie hätten
ihm
helfen können?»
«Es wäre nicht einfach gewesen, aber Closset, sein Hausarzt, war der Sache nicht gewachsen. Er ist mehr oder minderimmer noch ein mittelalterlicher Medikus wie die meisten Ärzte hier in Wien. Keine Ahnung von neuen
Weitere Kostenlose Bücher