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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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auch Judas einen, der größer war als er und ihn liebte, verschachert hatte.
    Ich ließ den Rosenkranz aus getrockneten Samen aus dem Heiligen Land durch meine Finger laufen. Hatte ich Wolfgang um Geld geprellt, dass ihm Sicherheit hätte geben können? Ich dachte an die Schulden, die Constanze erwähnt hatte. Wolfgang hatte über seine Verhältnisse gelebt, aber ich wusste, dass unsere finanziellen Streitigkeiten meinen Bruder nicht verletzt hatten. Ich hatte etwas weitaus Schlimmeres getan, als ihn um ein paar tausend Florin zu bringen. Ich hatte ihm die letzte Überlebende der Familie vorenthalten, die sein Talent gefördert und ihn die Liebe gelehrt hatte.
    Ein weiterer Schluchzer drang aus meiner Brust. Bitte für mich, Jungfrau, bei deinem Sohn, meinem Erlöser, dachte ich.
    Der Lampenschein fiel schwankend auf das Gesicht Christi. Ich sah Seinen Schmerz, als er Seinen Vater anrief, von dem er sich verlassen glaubte. Sein Leiden war lebendig, und es war meine heilige Pflicht, es zu ertragen wie den Todeskampf auf der grauen Maske, die Doktor Sallaba in seinem Giftzimmer verwahrte.
    Ich gelobte der Heiligen Maria, jedes Leid, jede Gefahr auf mich zu nehmen, um meinem Bruder Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich bekreuzigte mich, stand auf und verließ die Kapelle.
    Draußen auf dem Platz schimpfte jemand über den schärfer werdenden Frost. Ein anderer Mann lachte über den Ärger seines Begleiters.
    Es war jetzt Abend. Aber ich verschwendete keinen Gedanken an die Gefahr, die mich in der Dunkelheit zu umgeben schien, seit ich mit Gieseke überfallen worden war. Ich war ruhig und entschlossen.
    Ein Schäfer trieb eine kleine Schafherde am Dom vorbei. Er rief einen struppigen, herumtapsenden Wolfshund, der die blökenden Tiere zur Schulerstraße trieb. Dann war ich im schwankenden Laternenlicht allein.
    Ich zog den Mantel enger um mich und machte mich auf den Weg zu meinem Gasthof. Mein Kopf war jetzt klar. Ich hatte im Gebet mit Wolfgang gesprochen und hatte das sichere Gefühl, dass er mir heute Abend in der Oper antworten würde.

25

    Lenerl frisierte mich am Fenster, von dem aus man den leeren Mehlmarkt überblicken konnte. Um die Statue der Vorsehung schimmerten die feuchten Pflastersteine. Bei jedem Bürstenstrich blinzelte ich und hielt Ausschau nach den Lampen der Kutsche des Barons.
    Während ich wartete, dachte ich an Liebe. Nicht an Ehemänner und Pflichten. Nur an Liebe.
    Damals in Salzburg, als ich Mitte zwanzig war, verliebte ich mich in D’Ippold, einen Reservehauptmann, der Direktor einer Schule für adelige Jungen war. Den Ambitionen meines Vaters, mich in die Aristokratie zu verheiraten, genügte er nicht. Sein Antrag wurde abgewiesen. Ich gehorchte meinem Vater viele Jahre später, als ich mich mit Berchtold verlobte, der mit einem Fuß auf dem niedrigsten Adelsrang stand. Bei seiner Suche nach einem Ehemann von hoher Geburt glaubte Papa vielleicht, mich lediglich einem Mann zuzuführen, der meinen eigenen Ansprüchen genügte. Schließlich hatte ich mich stets geweigert, meine Haare unter eine Haube zu raffen, sondern trug sie wie eine Frau von Rang hochgesteckt. Nach all den Jahren als Wunderkind hatte ich endlich das komfortable Heim und die Kinder, derer sich meine sämtlichen Freunde längst erfreuten.
    Eine Kutsche rasselte an der Kapuzinerkirche vorbei und hielt vor dem Gasthof. Das Gesicht des Barons erschien im Fenster. Ich sah jetzt, warum ich an Liebe gedacht hatte, und erbebte vor Schuldbewusstsein.
    «Der Kaiser wird der heutigen Aufführung beiwohnen», sagte Swieten, als ich mich in der Kutsche ihm gegenüber auf der Bank niederließ.
    Ich dachte an den stolzen, langsamen Gang des Mannes, den ich heute Nachmittag gesehen hatte, als er mit seinen Höflingen im Gefolge durch den Park spaziert war. «Ich erinnere mich an ihn als Kind, als ich vor seiner Mutter, der Kaiserin, in Schönbrunn auftrat.»
    Swieten murmelte etwas Unverständliches. Ich spürte, dass ihn etwas belastete.
    «Wird er mir sehr verändert vorkommen?»
    «Leopold? Nicht mehr wiederzuerkennen. Man kann sich kaum vorstellen, dass der Kaiser jemals ein Kind gewesen ist.»
    Vorm Freihaus wimmelte die Straße von Kutschen. Als wir durch den Hof zum Theater gingen, tippte Baron Swieten an seine Hutkrempe, um die Damen und Herren zu grüßen.
    Ich hüpfte vor Vorfreude. Abgesehen von einer Reise nach München hatte ich Wolfgangs Opern immer nur in Salzburg gesehen – in Sälen, die mir so vertraut waren, dass

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