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Mozarts letzte Arie

Mozarts letzte Arie

Titel: Mozarts letzte Arie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matt Beynon Rees
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Kutscher lehnte mit der Pfeife im Mund an der Flanke seines Leitpferds.
    Der Baron trat auf die Galerie hinaus. «Madame, ich entschuldige mich für die Unannehmlichkeit», sagte er. «Ich wollte lediglich …»
    «Ich möchte für Wolfgang beten.» Ich hatte das Gefühl, dass mich die im Laboratorium des Doktors wabernden Gase mit allen Ausdünstungen der Hölle erfüllten. Welcher Geruch umgab die Seele meines armen toten Bruders? «Bringen Sie mich zum Dom.»

24

    Die gemalten Gesichter der Heiligen schimmerten mit sakraler Klarheit aus den Nischen des Franziskanerkonvents. Im trüben Zwielicht der Bäckerstraße fragte ich mich, ob die leuchtenden Porträts Sinnestäuschungen waren, hervorgerufen durch Doktor Sallabas giftige Gase.
    Swieten schien etwas sagen zu wollen, wandte dann jedoch den Blick aus dem Kutschenfenster. Ich kämpfte gegen mein Verlangen an, seine Hand zu berühren, und zog meinen Arm zurück, als bändigte ich ein nervöses Haustier.
    «Ich lasse Sie nur ungern allein», sagte Swieten. «Sie sind nicht sicher. Die Männer, die Sie gestern Abend auf der Straße überfallen …»
    «Niemand weiß, dass ich hier bin. Und in dieser Sache muss ich allein sein.»
    Auf dem Domplatz reichte mir der Lakai beim Aussteigen die Hand und schwang sich dann wieder aufs hintere Trittbrett der Kutsche.
    Der Baron blickte aus dem Fenster ins Halbdunkel. «Ich werde Sie um sieben in Ihrem Gasthof abholen, Madame», sagte er. «Wir fahren dann ins Freihaustheater. Man gibt heute Abend
Die Zauberflöte.»
    Ich neigte zustimmend den Kopf. «Euer Gnaden sind höchst liebenswürdig.»
    Im diffusen Licht der Laterne, die neben dem Kutschbock baumelte, schimmerte der Knauf seines Spazierstocks. Er deutete damit auf den Dom, und seine Stimme klang barsch.«Durchs Hauptportal und dann links beim Grab Prinz Eugens.»
    Die Kutsche rasselte neben dem Nordturm des Doms davon.
    Als ich durch den hohen Torbogen der Wiener Hauptkirche ging, hielt ich mich im Schatten. Ich schlich vom Querschiff zu dem Ort, an dem Wolfgangs Totenmesse gehalten worden war.
    Das sandbraune Gemäuer der Kreuzkapelle war von Generationen von Kerzen geschwärzt. Hinter dem Altar krümmte sich ein gequälter Christus vom Kruzifix weg, wehrte sich gegen die Nägel in seinen Händen und Füßen. Er war fast lebensgroß; das mit Dornen gekrönte Haupt bestand aus dem gleichen Kirschholz wie sein Körper. Menschliches Barthaar war Unserem Herrn ans Kinn geklebt worden, doch wirkte es wegen seiner Trockenheit lebloser als das Holz.
    In der Kapelle herrschte Durchzug und brachte die Lampen zum Schwingen. Sie erleuchteten das Gesicht Unseres Erlösers, beschienen Seinen Todeskampf und ließen Ihn dann wieder und wieder in Schatten versinken. Das Licht belebte die Skulptur wie ein Jahrmarktseffekt. Ich bekreuzigte mich zweimal.
    Ich kniete auf dem kalten Steinboden nieder. Den gequälten Blick Christi konnte ich nicht ertragen. Wo hatte Wolfgangs Sarg gestanden, als Swieten und Constanze meinen armen Bruder hierher zur Totenmesse gebracht hatten? Jahre der Schuld durchströmten jede Faser meines Körpers. Ich zitterte, als ich stumm zu schluchzen begann.
    Ich erflehte Vergebung für meine Habgier und die Sünde der Eifersucht. Erflehte sie vom gekreuzigten Christus. Erflehte sie von Wolfgang.
    Nach dem Tod unseres Vaters hatte ich das gesamte Geld geerbt, das Wolfgang und ich als Kinder mit unseren Tourneendurch Europa verdient hatten. Unser Vater hatte es klug angelegt, und es handelte sich um eine beträchtliche Summe. Er hinterließ auch teures Mobiliar, Musikinstrumente und eine große Menge goldener Uhren und mit Juwelen besetzte Schnupftabaksdosen, Geschenke des Adels aus ganz Europa.
    Bei diesen frühen Tourneen war Wolfgang die Hauptattraktion gewesen. Er hätte seinen Anteil bekommen müssen. Obwohl unser Vater ihn enterbt hatte, hätte ich Wolfgang trotzdem die Hälfte des Geldes schicken können. Doch ich beneidete meinen Bruder um seine Freiheit. Ich redete mir ein, dass er dafür mit seinem Erbe zu bezahlen hätte. Salzburg hatte er verlassen, um sich in der Reichshauptstadt durchzusetzen und ein erfülltes Leben zu führen. Er hatte mich im Stich gelassen, meine Talente ignoriert, und da ich auf Ende zwanzig zuging, wurden meine Aussichten auf eine vorteilhafte Verheiratung immer schlechter. Als Kinder hatten wir uns nahegestanden, aber ich hatte mich von ihm losgelöst.
    Ich sah zum Kruzifix hoch. Ich hatte Wolfgang für Geld verraten, wie

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