Mozarts letzte Arie
Ihrer Nähe ist es gefährlich.»
«Wie meinen Sie das?»
«Nachdem Sie weggelaufen sind, bin ich beinahe erstochen worden.» Unter der Theaterschminke waren Spuren roter Platzwunden zu erkennen. Er hob die Hand. Sie war mit einem schmuddeligen Tuch verbunden. «Ich musste die Klinge packen, um diesem Schläger das Messer zu entwinden.»
«Glauben Sie, dass diese Männer
mich
verletzen wollten und nicht Sie?»
«Ich halte den Mund über Wolfgangs Vergiftung.
Sie
nicht. Natürlich ging es gegen Sie.»
«Aber man ließ mich entkommen. Vielleicht ging es letztlich doch um Sie?»
Seine Augen verschwanden unter der dicken Schminke. Er nickte langsam und erschrocken. Er verstand, dass ich recht hatte. Was wusste er, das ihn so gefährlich machte, dass man ihn ermorden wollte?
«Sie haben es gesehen», sagte ich.
«Gesehen? Was?»
«Das Gift. Sie haben gesehen, wie es verabreicht wurde, nicht wahr? Wann?»
Er biss in den Knoten seines Verbands am Handrücken. «Im Saal der Freimaurer. Nachdem sie die Kantate aufgeführt haben, die ich mit Wolfgang geschrieben habe.»
«Wer war es? Wer hat meinen Bruder vergiftet?»
«Das verrate ich nur jemandem, mit dem ich noch andere Geheimnisse teile.»
Das Band der Bruderschaft. «Einem Freimaurer?»
«Ganz recht.»
«Warum keiner Frau?»
Er packte mich an der Schulter. «Was sagen Sie da?»
Ich riss mich los, taumelte gegen die hölzerne Rokoko-Brüstung des Balkons. Der Kaiser hatte seinen Platz eingenommen. Unter lautem Beifall betrat der Dirigent das Podium. Bislang war mir gar nicht aufgefallen, wie groß das Theater war. Der tosende Applaus aus fünf Logenrängen war überwältigend.
Gieseke ging durch die Tür und stürzte davon.
Die Posaunen begannen mit einem vollen Akkord die Ouvertüre, als die Tür hinter ihm zufiel. Die plötzliche Lautstärke ließ mich zusammenzucken.
Ein zweiter und dritter Akkord. In E-Dur. Die gleiche Tonart, die ich in der Freimaurerloge gehört hatte. Tonarten setzte Wolfgang nie ohne Absicht ein. Sie vermittelten dem Zuhörer stets eine Stimmung oder eine andere Bedeutung. Bei diesen drei ersten Takten der Ouvertüre wusste ich bereits, dass es eine Freimaureroper war, wie Gieseke und Schikaneder mir gesagt hatten.
Während sich die Fuge entwickelte, blinzelte ich durchs Lampenlicht im Theater umher. Graf Pergen saß ein paar Plätze vom Kaiser entfernt in der ersten Reihe; er hatte die Beine übereinandergeschlagen, und seine Schnallenschuhe bewegten sich im Rhythmus der Ouvertüre.
In der Loge mir gegenüber saß Prinz Lichnowsky neben einer hübschen, dunkelhaarigen Frau. Sie lehnte sich zur Brüstung vor und bewegte die Finger in der Luft, als spielte sie die Melodie auf einem Klavier.
Swieten eilte auf den Sitz neben mir und stützte beideHände auf den Knauf seines Stocks, wie er es auch getan hatte, als er meinem Spiel in der Akademie der Wissenschaften gelauscht hatte. Er wandte sich mir mit einem Lächeln zu, das ihm die Musik entlockte. Er musste die Verwirrung in meinem Gesicht bemerkt haben, weil er nach meiner Hand griff.
Auf der Bühne begann die Handlung. Tamino floh vor einer Riesenschlange. «Zu Hülfe!», rief er.
Swieten drehte sich in Richtung des Rufs und zog seine Hand zurück.
Noch bevor Taminos erste Arie vorbei war, verlor ich mich in der Schönheit der Schöpfung meines Bruders. Schikaneder hatte gesagt, die Oper würde freimaurerisches Gedankengut verbreiten, aber für mich war sie erfüllt von Wolfgangs reiner Spielfreude.
Ich war so hingerissen, dass ich kaum bemerkte, wie zwei Männer unsere Loge betraten. Anfangs schenkte auch Swieten ihnen keine Beachtung. Sie lungerten unschlüssig und desorientiert an der Tür herum. Mit einem Seufzer der Verärgerung nahm Swieten sie zur Kenntnis.
Die Männer waren schäbig gekleidet und ungehobelt. Sie wichen dem Blick des Barons aus, zogen sich aber nicht zurück.
Er machte einen Schritt auf sie zu, reckte seine breiten Schultern und schwang das schwere, mit Juwelen besetzte Stockende wie eine Keule. Die Männer tippten an ihre Hutkrempen und verschwanden.
Swieten ging noch einige Minuten in der Loge auf und ab, bevor er wieder Platz nahm.
Auf der Bühne erschien die Königin der Nacht auf einem mit Sternen geschmückten Thron. Sie sang von ihrem vermissten Kind. Tränen des Mitleids stiegen mir in die Augen. Die Diva war Constanzes Schwester, die redselige Josefa, die ich in der Akademie der Wissenschaften kennengelernt hatte. IhreArie wechselte
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