Mr. Chartwell - Hunt, R: Mr. Chartwell
Churchill?«
»Allerdings«, sagte Mr. Chartwell. »Und mit Unterbrechungen schon ziemlich lange.«
Auf der Uhr vertickten einige Sekunden.
»Sind Sie befreundet?«, fragte Esther.
Mr. Chartwells Antwort kam rasch und nachdrücklich. »O nein, oho, nein, das sind wir ganz und gar nicht, obwohl wir uns sehr gut kennen.«
Esther beugte sich vor und blickte in Mr. Chartwells Gesicht. Sie wollte die Wahrheit wissen. »Sie mögen sich nicht?«
Geschickt schnitt sich Mr. Chartwell ein unverschämt großes Stück Cheddar ab. Die Zähne schnappten wie eine Falle zu, als er es sich ins Maul warf. »Ich mag ihn sogar ganz gern. Aber er fürchtet und verachtet mich.« Mr. Chartwell zuckte auf eine Art mit den Achseln, die zu verstehen gab, dass er das gewohnt war.
Mit papierdünner Stimme sagte Esther: »Warum?«
»Weil der Dienst, den ich leiste, nicht sehr vergnüglich ist.«
Esther wartete etwas, bevor sie sich gestattete, weiterzufragen. »Was ist das für ein Dienst?«
Mr. Chartwells Augen wanderten durch den Raum. Er setzte an, etwas zu sagen, brach ab. »Ich finde es einigermaßen schwierig, darüber zu reden«, sagte er schließlich.
»Ist es was richtig Schlimmes?«, fragte Esther ängstlich. »Tun Sie den Leuten was an?«
»An sich nicht«, sagte Mr. Chartwell langsam. »Ich tue ihnen nicht richtig was an.« Mit seiner Pfote beschrieb er Kreise in der Luft, während er nach Worten suchte.
»Doch, das tun Sie! Ich wette, das tun Sie!«, widersprach Esther.
»Nein«, entgegnete Mr. Chartwell gereizt. »Die Wirkung, die ich auf sie habe, ist lediglich niederdrückend.«
Esther verstummte einen Moment. »Niederdrücken? Sie meinen, mit Ihrem Gewicht? Sie legen sich auf sie?«
Mr. Chartwell machte eine erklärende Geste. »Das Gewicht ist seelischer Art, wenn Sie solche primitiven Begriffe gebrauchen wollen.« Ein leises Zucken in seinem Gesicht verriet, dass er von diesen Begriffen keine sonderlich hohe Meinung hatte. »Indirekt könnte man das also vielleicht so ausdrücken.«
»Ein seelisches Gewicht? Ich verstehe nicht, was … « Unwillkürlich nahm sich Esther einen Kräcker. Der Kräcker war extrem trocken, und es dauerte etwas, bis sie ihn klein hatte. Nur das mahlende Kaugeräusch störte die Stille im Raum. »Was meinen Sie damit?«
»Dass ich sie deprimiere. Meine Dienste bestehen aus Phasen, in denen ich bestimmte Leute besuche, Leute, die eine bestimmte Dunkelheit durchleben. Churchill ist ein Stammkunde.« Mr. Chartwell machte die nächste Eröffnung mit großem Bedacht. »Er nennt seine Depression den ›schwarzen Hund‹.«
Einen Moment lang verschlug es ihr die Sprache. »Sie sind der schwarze Hund?«
»Offensichtlich«, sagte Mr. Chartwell.
»Haben Sie ihm nicht gesagt, dass Sie Chartwell heißen?«
»Das ist nicht mein richtiger Name. Den habe ich mir für Sie ausgedacht.«
Schlagartig ging Esther etwas auf. »Churchills Haus heißt Chartwell, stimmt’s?«
»Stimmt«, bestätigte Mr. Chartwell.
»Nennen Sie sich selbst den schwarzen Hund?«
Er zog die Brauen hoch. »Nein, das ist doch kein richtiger Name, oder? Eher eine Beschreibung, auch wenn ich nichts dagegen habe.«
»Sie ist ziemlich treffend«, sagte Esther. »Sie benennt, was Sie sind.«
Er lächelte. Er war unbestreitbar ein schwarzer Hund.
»Und wie heißen Sie dann wirklich?«, fragte Esther.
Mr. Chartwell blies etwas Luft durch die Lippen. Es machte ein unschönes schwirrendes Geräusch. Er hob ein Vorderbein hoch und legte es sich wie einen Arm über den Kopf. »Wie ich wirklich heiße? Puh … Na schön, in Wirklichkeit … «, er runzelte nachdenklich die Stirn und spielte mit der Pfote am Ohr, »… in Wirklichkeit heiße ich Black Patrick.«
Esther sah ihn zweifelnd an. »Das glaube ich nicht«, sagte sie.
»Auf jeden Fall gefällt mir der Name besser als schwarzer Hund.« Er überlegte kurz. »Sie können Black Pat zu mir sagen.«
»Und das ist Ihr richtiger Name?«
»Black Pat Chartwell, dabei bleiben wir«, sagte Mr. Chartwell entschieden. Es war deutlich, dass er darüber nicht mehr diskutieren wollte. »Nennen Sie mich Black Pat.«
»Oh!« Esther kam ein erschreckender Gedanke. »Moment mal, was wäre, wenn Churchill wüsste, dass Sie hier sind? Wenn er wüsste, dass ich mir überlege, ob ich Sie hier wohnen lasse? Falls ich Sie hier wohnen ließe, damit Sie ihm Depressionen machen können, würde ich von seinem Leid profitieren.«
»Machen Sie sich deswegen keine Sorgen«, sagte Black Pat. »Er
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