Mr. Chartwell - Hunt, R: Mr. Chartwell
Troddeln hielt, daneben Big Oliver, den Arm um sie gelegt. Im Augenblick lag Little Oliver, inzwischen drei Jahre alt, im Bett. Tief über dem Esstisch hing eine Strahlerlampe mit Pendelmechanik und eloxiertem Aluschirm und leuchtete in die Öffnung einer leeren Flasche Tomatensauce.
BethließdieleergegessenenTelleraufdemTischstehenundschrittbarfußanderaufgeschobenenGlasfrontvorbeivomEssbereichzumSofa.SchwerstampfendkamihrManndieTreppeherunter,zumScherzeinewinzigeMützevonLittleOliveraufdemmächtigenErwachsenenschädel.ErhattegeradenachdemKleinengesehenundfingjetztan,inderKücheherumzufuhrwerken,wieimmerlaut.
Big Oliver, der als Sekretär des Parlaments in Westminster arbeitete, war ein massig gebauter Mann, der in jüngeren Jahren die Statur eines Boxers gehabt hatte, ohne sich je als solcher zu beweisen. Seit er nicht mehr ganz so jung war, waren die Muskeln erschlafft. Jetzt hatte er die Figur eines mit Bier gemästeten zahmen Bären. Wenn er die Stirn runzelte, erschienen zwei dunkle Steilfalten wie der Abdruck eines Löffelendes. Der Löffelabdruck erschien jetzt, als er seine Frau in trübsinniger innerer Zwiesprache mit dem Grund ihres Sherryglases auf dem Sofa liegen sah.
»Keine Sorge, du musst nicht auf dem Trockenen sitzen, meine süße kleine Schnapsdrossel.« Schon kam er mit einer Flasche Harveys Bristol Cream an. Er schob das Mützchen in eine kecke Schieflage, stellte sich hin wie ein Gewichtheber beim Anreißen und zog mit gespielter übermenschlicher Kraftanstrengung. Mit einem leisen Plopp kam der Korken heraus. Beths Lächeln war schwach und verschwand. Ihr Glas wurde nachgefüllt. Die offene Flasche wurde sachte auf dem niedrigen Teaktisch neben dem Sgrafitto-Blumentopf mit weißrandigem Efeu abgestellt.
»Was ist los?«
BethspreiztedieZehenaufeinemSofapolster,presstedierotenNägelindengrünenKordsamt.»DeineFrauisteinIdiot,dasistlos.«
»Das weiß doch jeder. Ich weiß es schon seit Jahren.« Big Oliver zupfte an den Knien seiner Hose und setzte sich zu ihr aufs Sofa.
Sie schob ihm einen Fuß in den Bauch. Ein harter Wulst wölbte sich nach oben, das Hemd spannte sich.
»Ich bin grobknochig, danke für den Hinweis.« Big Oliver kniff die Augen zusammen.
»Was du nicht sagst.« Beth aß für ihr Leben gern und hatte selbst eine mollige Figur. »Und die Knochen wachsen ständig weiter.« Der Fuß stach in seine Taille. »Vor allem hier.« Sie lächelte mit dem Mund voll Sherry.
»Wie dem auch sei«, sagte Big Oliver, »kommen wir zu dem faszinierenden Thema deines Idiotentums zurück.«
»Ummm«, erwiderte sie, hörbar verärgert über sich selbst. »Heute Morgen in der Bibliothek habe ich Esther aufgezogen.«
Die Fersen in die Polster gestemmt, schob sich Beth zur Seitenlehne, bis sie aufrecht saß. Hinter dem Sofa stand als Raumteiler eine hohe lackierte Konstruktion aus verschieden großen viereckigen Kästen, deren untere Hunderte von LP s und eine vielbändige Enzyklopädie enthielten. Sie lehnte den Kopf an die Oberkante eines Holzwürfels, auf dem eine Grünlilie im roten Topf neben einem Stapel National-Geographic -Heften stand. In einem eigenen Würfel ganz in Beths Nähe befand sich ein skurriles Holztier, etwas Südamerikanisches, ein Lama vielleicht oder eine Ziege. Es hatte einen buschigen Bastschwanz. Beth verdrehte sich, nahm es und fing an, am Schwanz zu zupfen.
»Ich habe Esther mit einem Rendezvous aufgezogen … «
Big Olivers Kopf kippte nach hinten auf die flache Rückenlehne. » Beth , warum kannst du sie nicht in Ruhe lassen?«
Beth riss die Unterarme hoch, in einer Faust das Holztier. »Ich kann’s nicht lassen! Ich bin ein Idiot! Ich will einfach, dass sie jemand Neuen kennenlernt.« Weiteres Zupfen am Schwanz. »Jedenfalls war Es furchtbar abwehrend, furchtbar empfindlich, als ich davon anfing, sie hätte bestimmt ein Rendezvous gehabt. Und jetzt ist mir eingefallen, dass sich demnächst der Tag wieder jährt.« Sie stellte das Tier auf den Boden, und es fiel auf die Seite.
»Gott«, sagte Big Oliver. »Ist es schon wieder so weit?«
»Ich hatte es völlig vergessen.«
»Pschhh.« Ein Pusten aus Big Olivers geblähten Backen. Er kaute an der Unterlippe. »Arme Es … zwei Jahre, Gott verdammt.«
Beth sah ihren Mann über den Rand ihres Glases an.
»Wie wär’s, wir laden sie ein, herzukommen und ein bisschen zu bleiben? Sie könnte für zwei, drei Tage das Gästezimmer haben.«
Beth dachte darüber nach. »Ja, sie sollte wahrscheinlich nicht allein
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