Mr. Joenes wundersame Reise
technischen Sinne trafen all diese Anschuldi-gungen zu, daher empfand ich es nicht als Irrtum, als der Richter mich in allen Punkten für schuldig er-klärte. Tatsächlich bewunderte ich sogar die Konsequenz, mit der den Gesetzen Genüge getan wurde.
Ich beklagte mich auch nicht, als er mich zu zehn Jahren Gefängnis verdonnerte. Das erschien mir zwar sehr streng, doch ich wußte gleichzeitig, daß es strenge Strafen braucht, um den Gesetzen Kraft und Geltung zu verleihen.
Als ich beim Gefängnis ankam, sah ich einige Männer, die sich im Wald in der Nähe versteckten.
Ich schenkte ihnen aber weiter keine Beachtung, denn der Wächter am Tor las gerade aufmerksam in meinen Begleitpapieren und studierte den Ur-teilsspruch. Er las mit großer Sorgfalt und öffnete schließlich das Tor.
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Kaum war das Tor offen, kamen zu meiner grenzenlosen Verwunderung die Männer im Wald aus ihrem Versteck, stürmten auf das Gebäude zu und erzwangen sich den Eintritt in das Gefängnis. Eine Menge Wärter erschien und versuchte, die Ein-dringlinge wieder hinauszutreiben. Trotzdem gelang es einigen, in das Gefängnis zu gelangen, ehe der Wärter am Tor dieses wieder schließen konnte.
»Ist es möglich«, fragte ich ihn, »daß diese Männer mit voller Absicht das Gefängnis gestürmt haben, um hineinzukommen?«
»Offensichtlich ist das der Fall«, erwiderte der Wärter.
»Ich hatte bisher immer angenommen, daß Ge-fängnisse dazu gedacht sind, Leute einzusperren anstatt sie auszusperren«, sagte ich.
»So war das auch mal«, verriet der Wärter mir.
»Doch heutzutage, wo so viele Fremde im Land sind und überall der Hunger wütet, brechen die Menschen in die Gefängnisse ein, um wenigstens drei Mahlzeiten am Tag zu bekommen. Wir können nichts dagegen tun. Indem sie in die Gefängnisse einbrechen, werden sie zu Kriminellen, und daher müssen wir sie dabehalten.«
»Entwürdigend«, sagte ich. »Aber was haben die Fremden damit zu tun?«
»Sie haben den ganzen Ärger erst ins Leben gerufen«, erklärte der Wärter. »In ihren eigenen Län-72
dern wird auch gehungert, und sie wissen überdies, daß wir in Mexiko die besten Gefängnisse der Welt haben. Daher kommen sie von weither, um in unsere Gefängnisse einzubrechen, vor allem dann, wenn sie nicht in die eigenen einbrechen können.
Doch ich glaube, daß die Fremden auch nicht besser oder schlechter sind als unsere eigenen Leute, welche genau das gleiche tun.«
»Wenn das so ist«, wollte ich wissen, »wie kann die Regierung dann die Einhaltung der Gesetze er-zwingen?«
»Nur indem sie die Wahrheit geheimhält«, nannte mir der Wärter die geniale Lösung dieses Problems. »Eines Tages werden wir Gefängnisse bauen können, welche die richtigen Leute fest- und die falschen draußenhalten. Doch bis es soweit ist, muß die ganze Affäre geheimgehalten werden. So kommt es, daß die meisten Menschen immer noch Angst vor der Strafe haben.«
Der Wärter geleitete mich dann in das Gefäng-nisgebäude hinein zum Aufnahmebüro. Dort fragte mich ein Mann, wie mir das Gefängnisleben denn gefiele. Ich gestand ihm, daß ich da noch nicht so ganz sicher sei.
»Schön«, sagte der Mann, »Sie haben sich während Ihres bisherigen Aufenthaltes in diesen Mauern geradezu vorbildlich verhalten. Unser Ziel ist Besserung, nicht Rache. Wie wäre es jetzt gleich mit einer Entlassung auf Bewährung?«
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Ich hatte Angst, eine falsche Antwort zu geben, daher sagte ich, ich sei da noch nicht ganz sicher.
»Lassen Sie sich Zeit«, meinte er. »Und kommen Sie zu mir, wann immer Sie freigelassen werden wollen.»
Dann marschierte ich in meine Zelle. Dort traf ich zwei Mexikaner und drei Fremde. Einer der Fremden war Amerikaner, die anderen beiden stammten aus Frankreich. Der Amerikaner fragte mich, ob ich die Strafaussetzung angenommen hätte. Ich sagte ihm, ich hätte mich noch nicht entschieden.
»Für einen Anfänger ganz schön gerissen«, lobte der Amerikaner, dessen Name Otis lautete. »Einige von den Neuzugängen haben ja keine Ahnung. Sie nehmen die Freilassung an, und bumms!, schon stehen sie draußen!«
»Ist das denn so schlimm?« wollte ich wissen.
»Sehr schlimm«, sagte Otis. »Wenn man die Freilassung oder die Bewährung annimmt, dann hat man so gut wie keine Chance, jemals wieder ins Gefängnis zu kommen. Ganz gleich, was man auch tut, der Richter würde es als Verletzung der Bewäh-rungsauflagen ansehen und raten, so etwas nie wieder zu tun. Und die Chancen, daß man es
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