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Mr. Joenes wundersame Reise

Mr. Joenes wundersame Reise

Titel: Mr. Joenes wundersame Reise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Sheckley
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für immer in uns selbst gefangen. Alles ist auf seine Art ein Gefängnis, und dieser Ort ist das beste aller Gefängnisse.«
    Otis beklagte dann meinen Mangel an Dankbarkeit. »Du hast ja gehört, was die Wärter erzählt haben«, machte er mich aufmerksam. »Wenn man überall im Land wüßte, wie gut es uns hier geht, dann würde jedermann sich ein Bein ausreißen, um ebenfalls hierher zu kommen. Du solltest dich glücklich schätzen, hier sein zu dürfen, und solltest gleichzeitig froh sein, daß nur sehr wenige von diesem wundervollen Ort wissen.«
    »Doch die Lage ändert sich allmählich«, meldete sich nun ein mexikanischer Häftling zu Wort. »Auch 81
    wenn die Regierung bemüht ist, die Wahrheit zu verheimlichen, und den Prozeß des Einsitzens als möglichst abschreckend darstellt, fangen die Menschen allmählich an, die Wahrheit zu erkennen.«
    »Damit gerät die Regierung in eine unangenehme Situation«, äußerte ein anderer mexikanischer Häftling. »Bisher hat man noch keinen Ersatz für das Gefängnis erfunden, obwohl man tatsächlich einmal diskutierte, jedes Vergehen gleich mit dem Tod zu bestrafen. Man kam aber schnell davon ab, da durch diese Praxis wahrscheinlich Wirtschaft und Militär des Landes empfindlich geschwächt worden wären. Deshalb muß man immer noch die Leute zu Gefängnis verurteilen – zum einzigen Ort, wo sie wirklich gerne hingehen.«
    Die Zelleninsassen brachen in schallendes Ge-lächter aus, denn als Kriminelle fanden sie besonderen Gefallen an den Irrwegen der Justiz. Und das schien wirklich der größte Wahnsinn mit Methode zu sein – ein Verbrechen gegen die Gemeinschaft zu begehen, um anschließend wegen dieses Verbrechens zu einem Leben in Sicherheit und Zufriedenheit verurteilt zu werden.
    Ich kam mir vor wie in einem schrecklichen Alp-traum, denn ich wußte nicht, was ich den Männern hätte entgegnen können.
    Am Ende rief ich verzweifelt: »Ihr mögt ja ruhig frei sein und in einem Paradies leben – aber ihr habt keine Frauen!«
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    Die Häftlinge schienen plötzlich nervös zu werden, als hätte ich etwas Unangenehmes angesprochen. Doch Otis erwiderte ganz ruhig und lässig:
    »Stimmt schon, was du sagst, wir haben wirklich keine Frauen. Aber das ist völlig unwesentlich.«
    »Unwesentlich?« wiederholte ich.
    »Aber klar doch«, bestätigte Otis. »Anfangs empfindet man das noch als unangenehm, doch mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Man vergesse nicht, daß schließlich allein die Frauen überzeugt sind, daß Frauen unersetzlich sind. Wir Männer wissen das besser.«
    Die Männer in der Zelle spendeten dazu ihren herzlichen Beifall.
    »Echte Männer«, betonte Otis, »brauchen nur die Gesellschaft anderer echter Männer. Wenn Butch hier wäre, dann könnte er dir das genauestens er-klären. Aber Butch liegt zum großen Kummer seiner vielen Freunde und Bewunderer mit einem doppel-ten Bruch im Lazarett. Doch er würde dir wahrscheinlich erklären, daß jegliche soziale Existenz mit Kompromissen einhergeht. Sind die Kompromisse einschneidend und zahlreich, dann nennt man das Tyrannei. Sind sie gering und unbedeutend wie zum Beispiel dieser Mangel an Frauen, dann nennen wir den Zustand Freiheit. Vergiß nicht, Delgado, man kann niemals etwas Perfektes erwarten.«
    Ich unternahm keinen weiteren Versuch mehr, mich mit meinen Gefährten zu diesem Thema aus-83
    einanderzusetzen, sondern verkündete nur, daß ich so schnell wie möglich wieder raus wollte.
    »Ich könnte gleich heute abend für dich die Flucht arrangieren«, bot Otis sich an. »Und ich denke, es ist ganz in Ordnung, daß du verschwin-dest. Das Gefängnisleben ist nichts für jemanden, der es nicht zu würdigen weiß.«
    An jenem Abend, als die Lichter im Gefängnis gedämpft worden waren, hob Otis einen der Gra-nitblöcke, aus denen der Boden der Zelle bestand.
    Am Grund des Schachtes begann ein enger Gang.
    Diesem folgte ich und tauchte nach einiger Zeit in einer Straße auf, immer noch völlig verwirrt und wie benommen.
    Einige Tage lang dachte ich über meine Erfahrungen nach. Am Ende begriff ich, daß meine Ehrlichkeit nichts anderes war als Dummheit, da sie aus völliger Ignoranz und einer Fehlbeurteilung der Welt rings um geboren war. Es konnte einfach keine Ehrlichkeit geben, denn es gab auch kein Gesetz, welches diese förderte. Das Gesetz hatte versagt, und weder Strafe noch guter Wille konnten ihm seine Funktion wiedergeben. Es hatte versagt, weil sämtliche Vorstellungen des Menschen von

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