Mr. Joenes wundersame Reise
einer unserer triumphalen Erfolge.«
»Und was geschieht dann?« wollte Joenes wissen.
»Haben wir erst einmal Eingang gefunden in die Welt des Paranoikers und haben wir sie erst einmal zur Realität werden lassen, versuchen wir diese Realität allmählich zu verändern, um auf diese 105
Weise den Patienten wieder in die Normalität zu-rückzuführen. Noch blicken wir da nicht so richtig durch, aber rein theoretisch ist das schon eine ganz tolle Sache und vielversprechend.«
»Du siehst selbst«, sagte Lum zu Joenes, »unser Doktor hier ist ein ganz schlauer Kopf.«
»Aber nein«, widersprach der Arzt mit einem be-scheidenen Lächeln, »ich bemühe mich nur, mich nicht ausschließlich in den ausgelatschten Pfaden meines Fachgebietes zu bewegen. Ich halte meinen Geist für jegliche Theorie, jegliche Hypothe-se offen. So bin ich eben, also braucht man mich auch nicht zu loben. Es ist meine Natur, für die ich nichts kann.«
»Ach, nicht so bescheiden, Doc«, meinte Lum.
»Nein, nein, ganz bestimmt nicht«, beharrte der Arzt.
»Ich verfüge nur über das, was viele einen suchenden Geist nennen. Im Gegensatz zu einigen meiner Kollegen stelle ich immer noch Fragen an meine Umwelt. Zum Beispiel – wenn ich sehe, wie ein erwachsener Mann sich zusammenrollt wie ein Fötus, verfüge ich nicht augenblicklich eine radio-aktive Schocktherapie. Erst einmal frage ich mich:
›Was würde wohl geschehen, wenn ich einen riesigen künstlichen Mutterleib baute und den Mann hineinsteckte?‹ Das ist übrigens ein authentischer Fall, den ich da schildere.«
»Und was geschah?« fragte Joenes.
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»Der Bursche erstickte!« brüllte Lum begeistert los.
»Ich habe nie von mir behauptet, ein guter Techniker oder Bastler zu sein«, erklärte der Arzt steif.
»Versuch und Irrtum sind notwendige Elemente der Forschung. Abgesehen davon betrachte ich diesen Fall als vollen Erfolg.«
»Warum das?« fragte Joenes.
»Weil der Patient sich kurz vor seinem Tod noch einmal streckte. Ich weiß zwar immer noch nicht, ob diese Heilung durch den Aufenthalt im künstlichen Mutterleib oder durch den nahenden Tod er-zielt wurde oder vielleicht sogar durch eine Kombination von beiden, doch das Experiment ist trotzdem von entscheidender theoretischer Bedeutung.«
»Ich wollte Sie doch nur ein bißchen auf den Arm nehmen, Doc«, beschwichtigte Lum. »Ich weiß ja, daß Sie gute Arbeit leisten.«
»Ich danke Ihnen, Lum«, sagte der Arzt. »Und nun muß ich mich entschuldigen, denn es wird Zeit für einen meiner Patienten. Ein interessanter Fall. Er glaubt von sich, er sei die physische Reinkarnation Gottes. So stark ist sein Glaube, daß, bewirkt durch irgendeine Fähigkeit, deren Herkunft und Natur ich noch nicht richtig habe erforschen können, die Fliegen um seinen Kopf eine Art Hei-ligenschein formen, während die Ratten sich vor ihm verneigen und von weither die Vögel herbei-107
fliegen und vor seinem Zellenfenster singen. Einer meiner Kollegen zeigt sehr großes Interesse an diesem Phänomen, da es auf bisher unbekannte Kom-munikationskanäle zwischen Mensch und Tier schließen läßt.«
»Und wie behandeln sie ihn?« erkundigte Joenes sich.
»Ich gehe über sein Environment an den Fall heran«, erklärte der Arzt. »Ich begebe mich in seine Zwangsvorstellung, indem ich vorgebe, ein Bewunderer und Schüler zu sein. Für fünfzig Minuten hocke ich jeden Tag zu seinen Füßen. Wenn die Tiere sich vor ihm verbeugen, verneige auch ich mich. Jeden Donnerstag nehme ich ihn mit ins Lazarett, wo er die Kranken heilt, denn das scheint ihm besonders viel Spaß zu machen.«
»Heilt er sich wirklich?« fragte Joenes.
»Bisher hat er eine Erfolgsquote von hundert Prozent«, informierte ihn der Arzt. »Doch natürlich sind sogenannte Wunderheilungen weder im naturwissenschaftlichen Bereich noch in der Religion etwas Neues. Wir behaupten ja gar nicht von uns, alles zu wissen.«
»Darf ich den Patienten mal sehen?« bat Joenes.
»Natürlich«, zeigte sich der Arzt bereitwillig.
»Er empfängt sehr gerne Besucher. Ich werde das gleich heute nachmittag arrangieren.« Und mit einem freundlichen Lächeln entfernte der Arzt sich.
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Joenes ließ seinen Blick durch den hellen, ge-diegen eingerichteten Tagesraum schweifen und lauschte der vielfältigen Unterhaltung um ihn herum. Der Hollis Hort für die kriminellen Geisteskranken erschien ihm gar nicht so übel. Und Sekunden später erschien er ihm schon fast wie das Paradies, denn Deirdre
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