Mr. Joenes wundersame Reise
schlecht, wenn Sie so etwas wie eine psychothe-rapeutische Miene aufsetzten und dem Patienten den Eindruck vermittelten, Sie glaubten an seine Zwangsvorstellung.«
»Wird gemacht«, sagte Joenes und verspürte plötzlich eine tiefe Verehrung und Hoffnung.
Der Arzt entriegelte die Zellentür, und sie traten ein. Doch in der Zelle war niemand. Auf der ei-112
nen Seite stand eine sauber gemachte Pritsche und auf der anderen befand sich das vergitterte Fenster.
Es gab auch einen kleinen Holztisch, und daneben hockte eine kleine Feldmaus, die weinte, als wollte ihr das Herz brechen. Auf dem Tisch lag ein Zettel mit einer Nachricht, welchen der Arzt aufnahm.
»Das ist sehr ungewöhnlich«, meinte der Arzt.
»Als ich vor einer Stunde abschloß, schien er mir noch bester Laune zu sein.«
»Aber wie konnte er denn fliehen?« fragte Joenes.
»Zweifellos hat er irgendeine Form der Telekine-se eingesetzt«, vermutete der Arzt. »Ich kann nicht behaupten, daß ich von diesen sogenannten über-sinnlichen Phänomenen viel verstehe; doch es beweist, zu was ein gestörtes Gemüt fähig ist, nur um eine bestimmte Behauptung zu beweisen und sich zu rechtfertigen. Tatsächlich ist der Grad des Wunsches zur Flucht unser Indikator für die Intensi-tät der psychischen Störung. Es tut mir aufrichtig leid, daß wir dem armen Teufel hier nicht helfen konnten, und ich hoffe nur, daß er, wo immer er sich auch aufhalten mag, nichts von den Einsich-ten vergißt, die wir versucht haben, ihm hier bei-zubringen.«
»Und was steht auf dem Zettel?« wollte Joenes wissen.
Der Arzt warf einen flüchtigen Blick auf den Pa-pierfetzen. »Es scheint eine Einkaufsliste zu sein.
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Eine sehr sonderbare Einkaufsliste, denn ich wüß-
te nicht, wo ich ...«
Joenes versuchte, ebenfalls einen Blick auf den Zettel zu werfen, und schaut dem Arzt über die Schulter, doch der Doktor knüllte hastig den Zettel zusammen und stopfte ihn sich in die Tasche.
»Das fällt unter die Schweigepflicht«, sagte der Arzt. »Wir dürfen diesen Zettel nicht jedem Neu-gierigen zu lesen geben, zumindest nicht eher, als bis wir ihn genauestens ausgewertet und analysiert haben und nicht bevor wir nicht bestimmte Schlüsselinformationen so verändert haben, da der Schreiber auf jeden Fall anonym bleiben muß. Können wir jetzt vielleicht in den Tagesraum zurückkehren?«
Joenes hatte keine andere Wahl, als dem Arzt in den Aufenthaltsraum zu folgen. Er hatte das erste Wort auf dem Zettel lesen können. Es lautete: ERINNERE. Es war wenig genug, aber Joenes würde sich immer daran erinnern.
*
Joenes verbrachte eine unruhige Nacht, in der er sich unaufhörlich fragte, wie Lum sein Versprechen mit der Hochzeit mit Deirdre und mit der Flucht einhalten wollte. Er hatte jedoch nicht mit dem Ideenreichtum und dem Einfluß seines Freundes gerechnet.
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Lum regelte die Sache mit der Hochzeit, indem er Deirdre mitteilte, Joenes müsse sich noch vor der Hochzeit einer Behandlung wegen Syphilis im tertiären Stadium unterziehen. Diese Behandlung würde eine lange Zeit in Anspruch nehmen, und sollte sie nicht anschlagen, dann würde Joenes‘
Nervensystem angegriffen, und über kurz oder lang wäre er kaum mehr als ein menschlicher Kadaver mit einem winzigen Funken Leben darin.
Deirdre wurde durch diese Nachricht sehr traurig gestimmt, jedoch blieb sie dabei und verkündete, daß sie Joenes am 4. Juli heiraten würde. Sie verriet Lum, daß seit ihrer Reformation die Gelü-
ste des Fleisches für sie von zweitrangiger Bedeutung seien, mehr noch, daß sie sogar eine gewisse Abneigung dagegen entwickelt habe. Allein schon deshalb könnte man Joenes‘ Krankheit durchaus auch als Segen ansehen, denn auf diese Weise wür-de es ihnen leichterfallen, eine spirituelle Einheit zu erringen. Und was die Aussichten anging, mit einem erwachsenen Säugling verheiratet zu sein, so fiel diese Nachricht bei Deirdre noch mehr auf fruchtbaren Boden, sie wollte schon immer Kran-kenschwester werden.
Lum wies dann darauf hin, daß eine Person in Joenes Zustand niemals die erforderlichen Heirats-papiere bekäme. Dies brachte Deirdre schließlich dazu, die ganze Sache abzublasen, denn dank ihrer Reformation konnte sie nichts mehr tun, was 115
irgendwie gegen Recht und Gesetz verstieß. Auf diese Weise wurde Joenes vor einer kaum erfolg-versprechenden Allianz behütet.
Was die Flucht aus dem Irrenhaus anging, so hatte Lum sich auch darum gekümmert. Kurz nach der Mahlzeit wurde Joenes ins
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