Mr. K: Thriller (German Edition)
mittels einer Gleitrolle nach oben schieben ließ. Sie war zu drei Vierteln geschlossen, was bedeutete, dass sie fast einen halben Meter weit offen stand. Als ich nur noch einen Schrittentfernt war, ging ich in die Hocke und sah nach, ob jemand drinnen stand. Ich konnte zwar keine Beine sehen, nahm jedoch weiter hinten eine flüchtige Bewegung wahr.
Ich richtete meine Dienstwaffe auf die Tür. »Hier ist Lieutenant Daniels von der Polizei von Chicago. Ich fordere den Mann in Abteil 345 auf, langsam und mit erhobenen Händen herauszukommen. Das ist eine polizeiliche Aufforderung.«
Ich stellte mich mit dem Rücken an die Tür des Nachbarabteils, um nicht in der Schusslinie zu stehen. Dann horchte ich.
Niemand antwortete oder bewegte sich.
»Ich wiederhole: Das ist eine polizeiliche Aufforderung. Wenn Sie nicht sofort mit erhobenen Händen rauskommen, mache ich von meiner Waffe Gebrauch.«
Natürlich hatte ich nicht vor, zu schießen. Ich konnte mir die internen Ermittlungen und anschließende Suspendierung vom Dienst sowie die Gerichtsverhandlung lebhaft vorstellen – alles Dinge, zu denen es kommen würde, falls ich durch die Tür eines Lagerabteils auf einen Menschen schoss. Aber in der Regel folgten Verdächtige in neun von zehn Fällen meinen Anweisungen.
Ich wartete. Anscheinend hatte ich es mit der einen Ausnahme von der Regel zu tun. Ich biss die Zähne zusammen, schlich näher an die Tür heran und kniete mich hin, um unter der Tür hindurchsehen zu können. Wieder sah ich, wie sich weiter hinten etwas bewegte.
Ohne zu zögern, fasste ich das untere Ende der Tür an und stieß sie kräftig nach oben. Dann streckte ich die Waffe mit dem Finger am Abzug nach vorn und rückte in das Abteil vor. Ich machte mich dabei auf alles gefasst.
Aber auf das, was ich dort sah, war ich nicht vorbereitet gewesen. In meinen zwanzig Jahren im Polizeidienst hatte ich noch nie so etwas Furchtbares erlebt.
»Großer Gott«, stieß ich leise hervor.
»Jack?«
, hörte ich Herb durch den Ohrenstöpsel. Er sagte noch etwas, aber ich konnte es nicht hören, weil ich mich vornüber beugte und mein Frühstück auf meine Jimmy Choos kotzte – etwas, das mir nicht mehr passiert war, seit ich als frischgebackene Polizistin bei der Sitte gearbeitet hatte.
Als ich mich wieder einigermaßen von dem Schock erholt hatte, sah ich mich im Flur nach allen Seiten um, obwohl der Täter wahrscheinlich längst weg war. Die einzigen Dinge, die in dem Abteil noch übrig geblieben waren, waren der Infusionsständer, ein leeres Dreibeinstativ, die Maschine und der nackte, verstümmelte Tote mit dem durchgeschnittenen Hals.
Plötzlich öffnete der Mann, den ich für tot gehalten hatte, die Augen. Der Ballknebel verhinderte, dass ich sein gequältes Stöhnen hörte, aber das verzerrte Gesicht sprach Bände über seine unerträglichen Schmerzen.
Ich eilte zu ihm hin, und obwohl ich dadurch womöglich Spuren am Tatort verwischte, drückte ich den Knopf an der Höllenmaschine, damit das Ding aufhörte sich zu drehen. Dann drückte ich mit der Hand auf die Wunde am Hals des Mannes, aus der das Blut schoss, und das, obwohl er versuchte, sich meinem Griff zu entwinden.
»Herb! Ruf sofort einen Krankenwagen! Und pass auf den Ausgang auf, der Täter …«
»Verdammte Scheiße.«
Ich hörte Herb zweimal, erst in beiden Ohren, dann nur in einem. Als ich mich umdrehte, sah ich ihn in der Türöffnung stehen. Sein Mund stand sperrangelweit offen und er starrte abwechselnd auf mich und das Opfer.
Dann tat Herb das, was ich auch getan hatte. Er wandte sich ab und kotzte.
Mir kam es vor, als verlangsamten und beschleunigten sich meine Gedanken auf einmal. Wenn Herb hier war, bedeutete dies, dass niemand den Ausgang im Auge behielt. Wir mussten den Scheißkerl unbedingt erwischen. Aber wir mussten auch dieses arme Schwein hier retten, und dazu mussten wir einen Krankenwagen rufen. Außerdem konnte ich meine Hände weder von seinem Hals noch von meiner Waffe nehmen, für den Fall, dass der Täter wieder auftauchte.
»HERB!«, schrie ich aus vollem Hals. »KRANKENWAGEN!«
Er riss sich zusammen und rief über Funk die Sanitäter. Dann rief er unsere Verstärkung und wies die Jungs an, sich um das Auto zu kümmern, das draußen parkte. Warmes Blut schoss mir durch die Finger und lief meinen Arm herunter.
»Verstärkung ist in einer Minute da«, sagte Herb.
Ich überlegte, ob ich ihn nach unten schicken sollte, damit er versuchte, Mr. K abzufangen –
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