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Mr. Lamb

Mr. Lamb

Titel: Mr. Lamb
Autoren: Bonnie Nadzam
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herumlag, Unkraut in einer krummen Linie wuchs und Glasscherben blinkten. Es war heiß, und alles sah neu aus, leichter, offen. Er war von der Welt abgetrennt, vom Bildschirm verschwunden. Er wandte sein Gesicht in die warme Luft, schaltete sein Mobiltelefon ein und sah nach, ob Nachrichten eingegangen waren, während er die Tankstelle im Blick behielt. Er stieg über eine plattgedrückte Dose, der Aufkleber von der Sonne verschossen. Über einen Plastikstrohhalm. Über ein gelbes Papier von einem Burger. Er wählte Linnies Nummer.
    »Ich habe deine Nachricht erhalten. Schade, dass wir uns verpasst haben.« Die Sonne stand hoch und spiegelte sich auf den Windschutzscheiben und in den Rückspiegeln der Autos an den Zapfsäulen. Ein Mann in blauem Overall sprühte den Platz mit einem Schlauch ab, und das Wasser stob auf wie flüssiges Licht. »Hast du vor zu kommen? Sag mir Bescheid, wann.« Tommie kam aus der Toilette, hielt die Hand als Schild vor die Augen und blickte suchend umher. »Du sollst dir vorstellen, dass ich an dich denke, Linnie. Denn das tue ich. Ruf mich an. Ich habe mein Mobiltelefon bei mir. Es ist angeschaltet, solange ich nicht außer Reichweite bin.«
    Er klappte das Telefon zu, als das Mädchen auf ihn zukam. »Mit wem hast du gesprochen?«
    »Mit einem meiner vielen Chefs.«
    »Hast du Ärger?«
    »Nein. Warum? Du?«
    * * *

Gleich hinter West-Des Moines, etwas zurückgesetzt zwischen Eschen und Eichen und ein Dutzend Meilen von der Interstate entfernt, keine Nachbarn außer einer Tankstelle und einem Burger-Restaurant, wo sie die Pommes frites aus rohen Kartoffeln selber machten, gibt es ein kleines Motel, das aus vierzehn winzigen Bungalows besteht, wie Spielsteine verteilt auf einem Wiesenhang. Der Parkplatz hat lauter Risse und wird von unten angehoben, von dem durch die Asphaltdecke drängenden Gras, so wie ein riesiges Meer von den Rändern einer neu entstandenen Welt zurückweicht. Die Bungalows sind sauber und frisch gestrichen. In dem kleinen Büro kann man sich zusammengerollte Handtücher ausleihen und kleine Stücke Seife kaufen. Man könnte denken, die Zeiger aller Uhren im Mittleren Westen hätten in den letzten fünfzig Jahren nichts anderes getan, als sich auf batteriebetriebenen Dornen im Kreis zu drehen.
    »Das beste Motel der Welt.« Lamb fuhr mit dem Wagen auf den holprigen Parkplatz. »Jetzt wissen wir, dass wir wirklich unterwegs sind.«
    In Bungalow Nummer vier standen zwei Einzelbetten. Das Mädchen setzte sich auf eins der beiden und streifte sich die schmutzigen Sportschuhe aus.
    »Du brauchst neue Schuhe.«
    »Ich weiß. Meine Zehen stoßen schon durch.«
    »Hat deine Mutter mit dir keine Schuhe für die Schule gekauft?«
    »Bisher noch nicht.«
    »Wir schreiben das auf die Liste der notwendigen Dinge. Kannst du dir das merken?«
    »Ja, klar.« Sie lehnte sich in die Kissen. »Ich bin erledigt.«
    »Darf ich dir nicht das Bett aufschlagen?«
    »Das Bett aufschlagen?«
    »Einem Mädchen, wie du eins bist«, sagte er und kam zwischen die beiden Betten, »sollte jeden Abend ein armer alter Kerl das Bett aufschlagen.« Sie lachte, aber er sah sie feierlich an und wartete, dass sie aufstand. Er hob das Kissen hoch, schlug den schweren, gestreiften Überwurf zum Fußende zurück und zog dann das weiße Laken mit der blauen Wolke in einem ordentlichen Dreieck zurück.
    »Wie bei meiner Oma.«
    »Der in Michigan?«
    »Ja.«
    »Kommt deine Mom von da?«
    »Ja.«
    »Vermisst du sie?«
    »Nein. Ein bisschen.«
    »Gut«, sagte er. »Wenn wir Partner sein wollen, müssen wir ehrlich miteinander sein, richtig?«
    »Sicher.«
    Er schlug sich mit dem Handballen an die Stirn. »Mensch, wie dumm von mir.«
    »Was denn?«
    »Schlafanzug. Wir haben nicht an einen Schlafanzug für dich gedacht. Ein Mädchen kann ja nicht in ihren Jeans schlafen.«
    »In dem anderen Hotel habe ich auch in meinen Sachen geschlafen.«
    »Und das war nicht richtig. Ein unverzeihliches Versehen, dass wir unsere Reise so angefangen haben.«
    Sie legte ihre Hände auf die Jeans. »Aber die sind ganz neu. Tipptopp.«
    »Tipptopp?«
    »Ja.«
    Er schüttelte den Kopf. »Ich gehe jetzt vor die Tür und warte zwei Minuten, okay? Ich zähle zweimal bis sechzig. Ganz langsam. Jede Zahl ganz deutlich: zwei-und-drei-ßig, drei-und-dreißig, so. Und du ziehst dir die Buchsen aus und legst sie zusammengefaltet über die Stuhllehne, dann wäschst du dir das Gesicht. Mit einem Waschlappen. Und mit Seife. Und dann ins Bett.
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