Mr. Lamb
alles, stimmt’s?«
»Ja.«
Er legte ihr zwei Finger unters Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich. »In Iowa haben wir gesagt, dass wir es nicht tun werden. Weißt du, wovon ich spreche?«
»Ich glaube schon.«
Er machte ein bekümmertes Gesicht. »Tommie. Ich kenne mich auf diesem Gebiet nicht so richtig aus. Verstehst du, was ich meine?«
Nicken.
»Dir geht es ähnlich, oder? Sag bitte Ja oder Nein. Tu es mir zuliebe.«
»Ja.«
»Ja, es geht dir auch so?«
»Ja, es geht mir auch so.«
»Weißt du, wovon ich spreche?«
»Ich glaube schon.«
»Du glaubst es. Gut.« Er hielt sie, die Hand um ihren Hinterkopf. Sie hockte seitlich auf den Knien. »Ich weiß nicht, was ich jetzt tun soll, Em.«
»In Ordnung.«
»In Ordnung.« Er lachte. »Viel helfen wirst du mir nicht, oder?«
Sie sah ihn an. Wieder hob er ihr Gesicht und hielt es nah anseins. Ihre Augen waren so groß wie nie zuvor. Und hier ist die reinste Wahrheit, die über sie zu sagen war: Sie war das liebreizendste und vollkommenste Wesen, das zu berühren und in die Arme zu schließen er je die Ehre gehabt hatte. Er drückte seinen Mund sanft auf ihren – es war ein kleiner, keuscher Kuss. Ein väterlicher Kuss. Dann zog er seinen Kopf ein wenig zurück und betrachtete sie in der Dunkelheit. »Wir hatten gesagt, dass wir das nicht tun würden, oder?« Seine Stimme klang rau. Sein Atem roch schwach nach Bier. »Aber irgendwie wollten wir es beide, nicht?« Sie nickte, und er zog sie an sich und drückte sie, dann gab er sie frei. »Fühlt sich das zum Fürchten an?«
Achselzucken.
»Fühlt es sich an wie etwas, das nicht erlaubt ist?«
»Ein bisschen.« Sie war kaum zu hören.
»Weil ich dich geküsst habe, oder weil ich älter bin als du?«
Achselzucken.
»Antworte bitte nicht mit Achselzucken, Emily Tom. Wir müssen das hier von jedem Blickpunkt aus betrachten. Wir müssen uns stellen, okay? Ist es, weil du noch nie jemanden geküsst hast? Oder weil ich ein bisschen älter bin als du?«
Sie nickte.
»Beides?«
»Beides«, sagte sie.
»Gut. Das war mir wichtig. Ich sage dir etwas über das Alter … Wenn du älter wirst, erfährst du, wie kurz das Leben ist. Ich meine, wirklich kurz. Und ich meine, man erfährt es wirklich. Man erfährt es bis auf die Knochen. Und dann ist es so, dass jeder ein bisschen alterslos wird.«
»Oh.«
»Ergibt das einen Sinn?«
»Ein bisschen.«
»Sag mir eins. Gibt Jessie dir manchmal einen Gutenachtkuss?«
»Nein.«
»Und du hast keine Onkel? Keine Großväter?«
»Nein.«
»Dann kommt dir das ein bisschen komisch vor, oder? Obwohl es ja ein normaler Ausdruck von Zuneigung ist.«
Nicken.
»Findest du, wenn du einen Kuss bekommst, dass es sich nicht gut anfühlt?«
Keine Antwort.
»Ich sag es mal anders. Glaubst du, dass ich dir wehtun will?«
»Nein.«
»Gut. Denn das will ich nicht. Glaubst du mir das?«
»Ja.«
»Manchmal, wenn Männer und Frauen sich küssen und … also, so miteinander sind. Manchmal bricht es Menschen das Herz, nicht? Manchmal sind Menschen verletzt. So sagt man es. Richtig?« Er hielt sie an sich gedrückt. Sie war wie ein kleiner Ofen. Er zog sie zu sich auf den Schoß. »Vielleicht ist es Sid so gegangen? Oder deiner Mom?«
»Als der Freund von Sids Cousine mit ihr Schluss gemacht hat, hat sie sich mit einer Gabel in die Arme gestochen.«
Lamb verzog das Gesicht. »Weil er ihr das Herz gebrochen hatte?«
»Ich glaube, ja.«
»Oh, Em. Versprich mir, dass du so etwas nie tun wirst.«
»Niemals.«
»Ich glaube dir. Du liebst das Leben zu sehr. Es war diese Liebe zum Leben, die ich damals auf dem Parkplatz in deinen Augen gesehen habe.«
»Ich weiß.«
»Ja?«
»Ja.«
»Gut. Und du sollst wissen, dass wir unsere Herzen bewahren können. Wir können dafür sorgen, dass sie nicht gebrochen werden, dein Herz und meins.«
»Geht das?«
Er lachte ein wenig in der Dunkelheit. »Ja, das geht. Genau das machen wir, indem wir jetzt darüber sprechen. Und so machen wir es auch in Zukunft. Verstehst du?« Er sah zu ihr hinunter.
»Mit der Zeit wirst du es verstehen. Das verspreche ich dir. Wenn du zwanzig bist, und ich bin unter der Erde, und du blickst auf diesen Abend zurück, dann wirst du merken, dass dein Herz nicht gebrochen ist. In Ordnung?«
»In Ordnung.«
»Möchtest du deinen Kopf in meinen Schoß legen und eine Weile hier sitzen bleiben?«
»Ist gut.«
»Dann machen wir das. Wir bleiben noch ein bisschen hier sitzen. Und ich gucke mir dein Gesicht an,
Weitere Kostenlose Bücher