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Mr. Lamb

Mr. Lamb

Titel: Mr. Lamb Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bonnie Nadzam
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Unterarms. »Sie war man nur ein kleines Ding.« Der alte Mann schüttelte den Kopf. »So einen Anblick, den vergisst man nicht.«
    »Nein, das kann ich mir denken.«
    »Achtundsiebzig Meilen bis zum Krankenhaus. Wie Sie selbst wissen.«
    Lamb guckte durch das Fenster hinter sich zum Fluss und zu der Reihe Bäume am Ufer, als könnte er da die richtige Antwort finden. »Ich habe es wahrscheinlich nicht gut genug durchdacht. Ich bin es nicht gewöhnt, Kinder um mich zu haben.« Er drehte sich wieder zu Foster um. »Aber wenn es so weit ist bis zum nächsten Krankenhaus, dann hätte ich das bedenken sollen.«
    »Sie sollten sie nach Hause nehmen. Mit zu sich nach Hause. Oder zu jemand anderem.«
    Lamb sprach nicht.
    »Entschuldigen Sie, wenn ich mir was anmaße.«
    »Nein«, sagte Lamb, »Sie haben recht. Wahrscheinlich fahren wir in ein, zwei Tagen wieder zurück. Ich hatte nur … wir erwarten noch jemanden. Eine Freundin.«
    Der alte Mann reckte das Kinn. Er hob seine zittrige, altersfleckige Hand. »Ich lasse Sie mit Ihren Sorgen allein.« Er ging zur Tür.
    »Hatten Sie etwas gewollt, Foster?«
    »Wollte nur sehen, wie Sie zurechtkommen. Und sagen, dass es schneien wird.«
    »Damit kommen wir zurecht. Sie sind jederzeit willkommen.«
    »Schöner Abend heute.«
    »Ja, da haben Sie recht.«
    Als der alte Mann gegangen war, lehnte Lamb sich an die Werkbank, den Rücken zum Fenster, und trank das Bier, während das Licht in der Werkstatt schwächer wurde. Er wartete. Er nahm den Liegestuhl, der neben dem Holzofen stand, und stellte ihn in die hinterste Ecke der Werkstatt, dann setzte er sich auf den Boden und streckte die Beine lang von sich. So blieb er eine Stunde sitzen, stand dann auf und pinkelte ins Gras. Es war dunkel, aber das Grün der Wiese konnte er noch erkennen. Er wartete. Lauschte. Er hatte keine Ahnung, wo sie sein könnte, also ging er wieder in die Werkstatt und ließ die Tür hinter sich offenstehen – mehr würde er nicht tun. Sie musste darauf gewartet haben, denn im nächsten Moment hörte er, wie die Tür zur Hütte aufging. Sie achtete darauf, dass die Tür nicht laut zuschlug, aber er wusste, dass sie da war. Als sie hereinkam, war hinter ihr die Nacht schwarz-blau. Das Mädchen stand still und sah in die Werkstatt hinein. Ihm fiel auf, dass sie sich das Gesicht gewaschen hatte.
    »Du bist eigentlich die Aufpasserin«, sagte er.
    »Entschuldigung.«
    »Du musst auf alles achten. Verstehst du? Alles hängt davon ab. Unsere Freundschaft hängt davon ab. Du musst wach sein.«
    Sie weinte. Sie hatte schon eine Weile geweint. Sie kam zu ihm.
    »Sag mir, was du hast.«
    Sie nickte und machte ein kleines Schluchzgeräusch hinten im Hals. Es war Weinen aus tiefster Seele. Sie fuhr sich mit dem Unterarm unter der Nase her, und Lamb holte ein Taschentuch aus seiner Hosentasche. »Hier«, sagte er, aber sie packte nicht richtig zu, sodass es zu Boden fiel. Er hob es auf, sie nahm es und wischte sich die Nase ab. »Was ist das Schlimmste? Dass du dich schlecht fühlst, weil du weggelaufen bist?« Sie schüttelte den Kopf. »Dass ich dich geschlagen habe?« Sie zuckte die Achseln. »Dass du dir dumm vorkommst? Weil du denkst, erst kriege ich dich dazu, mich zu mögen, dann demütige ich dich vor Mr. Foster?« Sie nickte. »Ja. Das verstehe ich. Und es überrascht mich nicht. Aber ich möchte etwas dazu sagen, ja? Wenn du dich beruhigt hast. Magst du dich neben mich setzen? Ich fass dich nicht an. Hierhin. Gut. So ist gut.« Sie hockte sich in einer kleinen Entfernung neben ihn. »Und jetzt atme tief durch. Das ist nicht tief. Nun komm. Wir machen es zusammen. Zehnmal, ja? Einatmen«, sagte er. »Ganz tief, schön langsam. Und ausatmen. Auch schön langsam. Und noch einmal. Tief einatmen. Gut. Neun. Tief einatmen. Und noch einmal.« Sie atmete und hörte zu, wie er atmete, und zählte rückwärts bis null. »Besser jetzt? Fühlst du dich besser?«
    Sie zuckte die Achseln.
    »Du zuckst die Achseln.«
    Sie zuckte sie wieder.
    »Du musst sehr unglücklich sein.«
    Sie starrte auf den Boden.
    »Kannst du mir zuhören, obwohl du so unglücklich bist? Gut. Also. Komm her. Darf ich dich anfassen? Ist das in Ordnung? Wie sieht es mit deiner Haut aus? Völlig verbrannt, wie?« Sie lächelte, und er legte den Arm um sie und zog sie zu sich heran. »Komm her, Tom. Das reicht schon. Gut.« Er strich ihr die strähnigen Haare zurück und legte ihr seine Hand auf den Hinterkopf. »Also«, sagte er. »Ich weiß, dass

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