Mr Monster
Nagellack auf keinen Fall acht Monate lang hielt. Falls Janella Willis tatsächlich schon vor acht Monaten gefangen genommen worden war, dann hatte der Killer sie an Händen und Füßen gefesselt und ihr aus irgendeinem Grund Nagellack gegeben. Was war in seinem Kopf vorgegangen?
Ich musste die Leiche sehen. Nachdem ich den Internetcache geleert hatte, schloss ich mich in meinem Zimmer ein, starrte zur Wand und forschte abermals in meinen Erinnerungen an die Leiche. Ein Killer stellte mir nach und schickte mir Botschaften. Was wollte er? Wenn er wusste, wer ich war, hätte er doch einfach kommen und mich holen können. Vielleicht wusste er es aber auch gar nicht und wollte mich auf die Probe stellen oder mich aus der Reserve locken. Vielleicht wartete er auf eine Reaktion.
John würde auf keinen Fall reagieren, doch bei Mr. Monster sah die Sache anders aus, und er war es ja, den der Killer eigentlich suchte. Mr. Monster hatte den Dämon getötet und jede Nacht von neuen Opfern geträumt. Er wollte diesem neuen Killer unbedingt eine Antwort schicken. Bisher hatte ich ihn allerdings zurückhalten können.
Auf wen würde dieser neue Killer stoßen, wenn er seinen entscheidenden Zug machte? Auf John oder auf Mr. Monster?
ELF
Als das Telefon klingelte, nagelte ich in einem Verlies gerade jemanden auf ein dickes Brett. Ich richtete mich auf und hörte Moms Schritte, sie war schon zu ihrem Handy unterwegs. Es war fünf Uhr morgens, und ich hatte fast zwei Stunden geschlafen.
»Hallo?«, meldete sie sich. Die Stimme hörte ich nur gedämpft, doch es gab nur einen denkbaren Grund für einen Anruf um diese Zeit. Der Gerichtsmediziner brachte eine Leiche, die schnell verarbeitet werden musste. Wahrscheinlich sollte sie schon am Nachmittag mit dem Flugzeug zu den Angehörigen überführt werden. Ich stieg aus dem Bett und zog mir ein Shirt an.
»Bis dann.« Mit einem Klicken klappte Mom ihr Handy zu, und dann knarrten die Dielenbretter, als sie sich wieder bewegte. Sie ging durch den Flur und öffnete gleich darauf meine Tür. »Wach auf, John! Der … oh! Schläfst du denn niemals?«
»War das Ron?« Ich zog mir die Socken an.
»Ja, sie bringen die … woher weißt du das?«
»Ich bin ein Genie«, sagte ich. »Wenn sie es so eilig haben, solltest du vielleicht auch Margaret anrufen.«
Sie starrte mich einen Augenblick lang an und klappte ihr Handy wieder auf. »Hol dir was zu essen und hör auf damit, immer alles zu wissen.«
Keine halbe Stunde später fuhr Ron mit dem Van des Gerichtsmediziners vor. Zwei Polizisten begleiteten ihn. Ich wartete oben und beobachtete durchs Fenster, wie Mom die Männer an der Hintertür empfing und Platz machte, damit sie die Tote hereintragen konnten.
Margaret traf ein, als der Van wieder wegfuhr, und dann versammelten wir uns unten und rüsteten uns mit Mundschutz und Schürze aus. Mom blätterte die Papiere durch.
»Hier steht nichts über fehlende Körperteile.« Nach einem unangenehmen Erlebnis im letzten Herbst hatten wir gelernt, uns vorher zu vergewissern. »Die Gerichtsmedizin hat eine volle Autopsie durchgeführt, die Organe eingetütet und den Rumpf wieder zugenäht.« Sie legte die Papiere weg. »Wie ich das hasse.«
»Das erleichtert aber das Einbalsamieren der Körperhöhlen«, meinte Margaret. Dabei benutzten wir den Trokar, um die Körperflüssigkeiten aus den Organen zu saugen und Einbalsamierungsflüssigkeit einzuspeisen. Bei einer Autopsie wie dieser, wenn die Organe entnommen waren, konnte Margaret das an einem Arbeitstisch hinten im Raum tun, während Mom und ich uns um das arterielle Einbalsamieren des Leichnams kümmerten. Das Problem war nur der Umstand, dass das arterielle Einbalsamieren eines Körpers ohne Organe so ähnlich war, als wolle man Wasser mit einem Sieb tragen – es gab unzählige Löcher, und überall trat die Flüssigkeit aus. Wir mussten an vier wenn nicht noch mehr verschiedenen Stellen getrennt ansetzen.
Die Leiche steckte noch im Leichensack und lag bereits auf dem Behandlungstisch. Ich wusch mir rasch die Hände und zog Gummihandschuhe an, dann öffnete ich den Reißverschluss. Der Gerichtsmediziner hatte die Blößen mit Handtüchern bedeckt, die außerdem das Blut auffangen sollten, das während des Transports noch herauslief. In diesem Fall gab es jedoch nicht mehr viel Blut. Die Leiche war bleich und leer wie eine Wachspuppe.
»Nimm ihren Kopf.« Mom schob der Toten eine Hand unter das Kreuz und stützte mit der zweiten die Beine.
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