Mr. Pattapu und das Geheimnis des alten Hauses
einer ebenso schwarzen, bestickten Haube auf
den wartenden Zug zu. Sie glich in ihrer Langsamkeit einer Schildkröte und doch besaß sie
eine natürliche Autorität, einen Stolz und eine Hoheit, die die Menschen in den Bann zogen.
Sie hatte viel für dieses Land getan und es im Sinne des Fortschrittes regiert. Ein langes,
bewegtes Leben lag hinter ihr und hatte Spuren hinterlassen. Man sah es ihr an, und vielleicht
gerade deshalb liebte das Volk seine Königin so sehr.
Während die Königin sich dem Zug näherte, schlängelten sich Henry und Rosie durch die
vorderen Reihen der Zuschauer und erreichten die Königin fast zeitgleich mit deren Ankunft
bei ihrem Wagen.
Völlig
perplex
betrachteten sie und ihre
Begleiter
das scheinbar
aufdringliche Paar, das sich nun tief vor ihr verneigte.
„Majestät! Bitte gewähren
Sie mir die Gnade einiger weniger Worte. Es geht um Ihr
Geschenk an Major Fowley“, rief Henry Hainsworth aus. Er tat es mit dem Mut der
Verzweiflung. Zwei Beamte der Geheimpolizei packten ihn gerade an den Armen und wollten
ihn abführen. Die Königin hob die Hand und die Polizisten ließen ihn wieder los.
„Ich danke Euch. Bitte lest das,
Euer Majestät.“ Henry reichte ihr den Brief aus dem Nachlass
des Majors. Königin Victoria nahm ihn entgegen und überflog ihn mit einem kritischen Blick.
Fragend blickte sie Henry an, der ihrerklärte: „Es geht um das Erbe des Majors, Majestät. Ein
Hochstapler beansprucht das Haus für sich. Euer Pfand ist in meiner Tasche als Beweis.“
Die Königin schien sich für einen kurzen Augenblick an etwas zu erinnern und winkte dann
Henry und Rosie zu sich. „Kommen Sie, begleiten Sie mich nach London. Wir werden uns
viel zu erzählen haben.“
Wieder verneigten sich die beiden und stiegen voller Ehrfurcht in den Privatwaggon der
Königin ein.
Wenige Minuten später setzte die schwere Lokomotive sich keuchend in Bewegung. Draußen
jubelten immer
noch die Menschen und die Königin winkte
mit ihrem blütenweißen
Spitzentaschentuch aus dem offenen Fenster, bis der Waggon außer Sicht war. Anschließend
servierte
ein
Diener
frischen
Tee
auf
einem
silbernen
Tablett
und
zündete
die
Petroleumlampen an. Rosie und Henry warteten, bis die Königin von England, die ihnen
gegenüber saß, das Wort an sie richten würde. Das tat sie wenig später, als sie fast allein im
Waggon waren. Nur einer der Diener hielt sich etwas entfernt an der Türe bereit, falls die
Königin einen Wunsch äußern sollte.
Von draußen war nur der eintönige Rhythmus der eisernen Räder zu hören, die sich
unaufhaltsam der Hauptstadt London näherten. Die Landschaft zog in flüchtigen Bildern an
den Augen der Reisenden vorbei. Es wurde langsam dunkel.
„Es ist schon sehr
, sehrlange her“, begann Victoria schließlich mit einem wehmütigen
Unterton der Stimme. „Damals war ich noch ein junges Mädchen, gerade mal 17 Jahre alt und
sollte bereits heiraten. Meine Ehe wurde von meinem Onkel, König Leopold I von Belgien,
arrangiert. Zunächst war ich natürlich entsetzt. Doch mein Onkel bestand darauf. Ich bat ihn,
meinen Bräutigam und Cousin Albert von Sachsen-Coburg und Gotha wenigstens vorher
kennenlernen zu dürfen. So arrangierte man einen Besuch Alberts in England. Das war im
Jahre 1836.“ Wieder schien die alte Dame sich in ihren Erinnerungen zu verlieren. Mit
Spannung warteten Rosie und Henry die Fortsetzung ihrer Geschichte ab.
„
Major Fowleys Haus liegt sehr abgelegen und daher sollte das erste Treffen zwischen Albert
und mir dort stattfinden. Der Major sorgte dafür, dass Prinz Albert mich dort durch einen
geheimen Gang von Whitstable aus besuchen konnte und wir einige Stunden für uns allein
hatten. Oh, ich erinnere mich noch gut daran, welches Herzklopfen ich hatte, als es soweit
war.“ Sie lachte leise und es klang für einen kurzen Moment, als wäre sie wieder das junge
Mädchen von damals.
„An diesem Tag unserer ersten Begeg
nung
habe
ich mich
sofort
in Albert verliebt.
Wiedergesehen habe ich ihn allerdings erst 1839 und ich fragte ihn dann direkt, ob er mich
heiraten wolle. Er sagte ja. Ein Jahr später fand die Hochzeit statt. Aber erst viel später durfte
er sich Prinzgemahl nennen.“ Victoria seufzte.
„
Wir hatten eine sehr schöne und lange Zeit gemeinsam. Voller Höhen und Tiefen, wie es sie
bei jedem normalen Ehepaar auch gibt. Als mein Mann 1861 starb, habe ich mich eigentlich
komplett aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Ascot
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