Mr. Peregrines Geheimnis: Roman (German Edition)
bis zu seinem kahlen Scheitel rot an, und die Augen traten aus ihren Höhlen.
»Sie lesen eben lieber?«, wiederholte er und riss Darwen das Buch aus der Hand. »Piraten und Schätze!«, trompetete er und hielt es hoch. »Wie wollen Sie einen vernünftigen Job finden, mit nichts als Piraten und Schätzen im Kopf? Wie wollen Sie einen Platz an einem College bekommen, wollen Sie vielleicht hin segeln? « Die Klasse kicherte, aber da war ein seltsamer Unterton in Sumners’ Zorn, der die Schüler unruhig werden ließ. »Sie meinen wohl, ahhh, Sie könnten den Mastkorb entern oder die Totenkopfflagge hissen und damit Ihren Studieneignungstest bestehen?«
»Ich weiß nicht, was ein Studieneignungstest ist«, sagte Darwen. »Aber das muss ich doch auch noch nicht. Ich bin noch ein Kind.«
»Sie sind vielleicht noch ein Kind, mein Junge, aber in meinem Unterricht bereiten Sie sich auf, ahhh, das Leben vor, auf die Highschool und aufs College, und dann auf ein Jura- oder Wirtschaftsstudium. Oder …« Sumners stützte sich auf Darwens Tisch und sah auf ihn hinunter. »Oder wollen Sie später vielleicht einmal Pirat werden?«
Die Klasse lachte unbehaglich.
»Ich wäre lieber Pirat als Anwalt oder Manager.« Die Wut, die Darwen inzwischen empfand, ließ ihn mutig werden. »Oder Mathelehrer«, setzte er hinzu.
Nun hielt die Klasse kollektiv den Atem an.
Sumners richtete sich auf und ging langsam und schweigend zur Tür. Er öffnete sie und hielt sie offen, bis Darwen sich dieser Andeutung nicht mehr verschließen konnte und aufstand. Auf dem Weg durchs Klassenzimmer vermied er es, die anderen Schüler anzusehen.
»Bitte, Sir«, sagte er, als er hinausging. »Könnte ich mein Buch wiederhaben?«
»Am Ende des Schuljahres«, sagte Sumners mit gehässigem Grinsen. »Und jetzt bleiben Sie da draußen stehen und rühren sich nicht, bis ich, ahhh, Sie wieder hereinrufe. Und Sie sollten am besten gut über Prä-Algebra nachdenken, denn wenn Sie wieder in die Klasse kommen, dann werden Sie an der Tafel vor Ihren Mitschülern noch ein paar Aufgaben lösen dürfen.«
»Aber Sir«, hob Darwen noch einmal an, »mein Mathebuch liegt noch an meinem Platz, und ich kann mich nicht vorbereiten, wenn …«
»Ich kammichnich voabereiten«, äffte Sumners ihn spöttisch nach. »Daran hätten Sie vielleicht vorher denken sollen. Der Schulleiter wird über diesen Vorfall informiert werden, Arkwright. Und Ihre Tante wird einen Brief erhalten. Ich würde allerdings vermuten, dass sie genug andere Sorgen hat – auch ohne dass Sie sich als Schulversager erweisen.«
Damit schloss er die Tür. Zorn kochte in Darwen hoch, während er dem Lehrer durch die Glastür zusah, wie er zum Pult zurückkehrte. Als Barry Fails anfing, Gesichter in seine Richtung zu schneiden, ging Darwen von der Tür weg.
Es war sein zweiter Schultag, und schon hatte er mächtig Ärger. Eigentlich hätte er sich schrecklich fühlen sollen. Er merkte jedoch, dass er zwar wütend und müde war, aber dass ihn diese ganze Angelegenheit ansonsten wenig berührte.
Weil da niemand ist, der von dir enttäuscht sein könnte, dachte er.
Sicher, da war Tante Honoria, und er wollte nicht, dass sie sich wegen ihm Sorgen machte, aber letztlich kannte er sie kaum. Und Menschen, die ihn liebten und die er glücklich machen wollte? Gab es nicht.
In diesem Augenblick wünschte sich ein Teil von ihm nichts sehnlicher, als dass Mr. Sumners wieder zurückkäme und noch ein paar schlaue Witze über seine Dummheit machte – nur damit Darwen ihm sagen konnte, wohin er sich seine Bemerkungen stecken konnte, und dass er endlich seine dämliche Klappe halten sollte.
»Das ist nicht okay, dass er dich so bloßstellt«, sagte die drahtige, zierliche Mad während der Klassenversammlung nach Unterrichtsschluss. »Du solltest dich über ihn beschweren. Oder ihn treten.«
Keiner dieser Vorschläge erschien Darwen besonders vielversprechend, und obwohl er sich freute, dass das Mädchen auf seiner Seite war, fand er es dennoch unangenehm, dass sie Mitleid mit ihm hatte.
»Die ist echt eine Kanone«, sagte Alexandra und sah Mad nach. »Man glaubt das gar nicht, wenn man sie so ansieht, aber das ist sie wirklich! Als sie die erste Woche hier war, hat sie sich ein vegetarisches Mittagessen bestellt, und da war dann Schinken drin. Da hättest du sie mal erleben sollen! Ich dachte, sie explodiert gleich. Am nächsten Tag hieß es dann in der Kantine, es gäbe nichts speziell für sie, und am Tag darauf
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