Mr Pink Floyd
ist, angenehm belämmert oder wenn man deliriert? Vielleicht aber nur dann, wenn man gespalten ist, wenn man sich, um sich zu retten, unterwirft und eine narzisstische Wunde öffnet, aus der einem nichts anderes als Sadismus entgegenkommen kann … Pink als Nazi ist nicht Mister Hyde: Er ist ein falsches Selbst, das als Projektionsfläche dient und ihn somit vor dem Publikum schützt, aber das Publikum wäre gar keine Horde Nazis, wenn Pink es nicht dazu aufhetzen würde, wer trägt also die Schuld? Wo fängt das Übel an? Darüber hinaus zeigen einem die Songs und das ganze Spektakel noch mehr: Sie zeigen dir, dass dieses System, und zwar dasselbe, das dir Stein für Stein dein Gesicht zeichnet, alle zu Pappfiguren mit ein und derselben Maske macht: die Kinder in der Schule, die im Fleischwolf enden, die Surrogate Band als Ersatz für die echten Pink Floyd , die Deportierten im Zug … Macht es einen nicht völlig fertig, wenn man mitbekommt, dass Pink genau dann immer mehr zum Nazi entstellt wird, je mehr er sich bemüht, sein Gesicht reinzuwaschen , indem er sich komplett enthaart und seine Haut blutig schürft? All das, woraus sich die Angst speist, wird zum Objekt der Unterdrückung: Hinter seinem privaten Schutzwall hervorgekommen und in seiner falschen Identität erstarkt, stellt Pink die Schwachen und Andersartigen an die Mauer. Sobald die Angst aber wieder entfesselt ist, ist das Erste, was angegriffen wird, die Mauer, die am Ende fallen wird: Handelt es sich dabei um eine Befreiung oder um das endgültig gefällte Urteil für den, der wie Pink von ihr erdrückt wird?
Die Kunst ist also kein Retter: Trotzdem kann das alles nur in künstlerischer Form ausgedrückt werden. Jenes Genie aber, das der Menschheit ein Werk hinterlassen hat, das zusammen mit dem Prozess von Kafka und den Bildern von Bacon unvergessen
bleiben wird, hatte begriffen, dass seine höchste Mauer Pink Floyd sind, und er ist gegangen, bevor sie über ihm einstürzen konnte.
Dieses andere Genie hat es dagegen nicht geschafft.
DRITTES DOKUMENT
Floydspotting
Nach Aussage von Robert Halliday und Alan Murdie im Cambridge Ghost Book wird der Universitätskomplex [von Cambridge] von Geistern bewohnt. Es heißt, dass insbesondere das Gibbs Building (1723 erbaut und im rechten Winkel zur Kapelle stehend) vom Geist eines exzentrischen Dozenten heimgesucht werde, dessen Rufe man an seinem Todestag hören könne: Sein Name war Barrett.
[A. Marziano – M. Worden, Floydspotting. Guida alla geografia dei Pink Floyd , Florenz, Giunti, 2008, S. 30]
DREIZEHNTE KLAGE
Snowy White
Terence Charles White, genannt Snowy, Jahrgang ’48. Ich hab gehört, dass hier von der Surrogate Band die Rede ist. Also gut, ich war derjenige, der Gilmour darstellen sollte. Habt ihr das Cover des Doppelalbums vom Livekonzert von THE WALL vor Augen? Darauf sind vier Masken der Mitglieder von Pink Floyd abgebildet, Latexmasken, die wie Totenmasken aussehen. Ein grafischer Gag? Nicht im Traum: Wir vier Armen hatten das Pech, diese Dinger bei den Auftritten und Filmaufnahmen tragen zu müssen, aber was das Licht der Scheinwerfer mit dem Gummi, das auf unserer Haut klebte, gemacht hat, das könnt ihr euch gern selbst ausmalen …
Irgendwann kommt Gilmour vorbei und schaut zu, wie ich so tue, als würde ich Gitarre spielen. Ich hatte ihn genauestens beobachtet, den guten Gilmour, wie er das ganze Stück über reglos dastand, mit herunterhängenden Schultern, und vor allem wie er nie seine rechte Hand aus dem Blick verlor. Allzeit hat er zu den großartigsten Gitarristen gehört, vielleicht war er einfach der großartigste, aber auch der einzige, der auf seine Hand schauen musste, was Clapton in seiner gesamten Laufbahn vielleicht insgesamt fünf Minuten lang getan hat… Ich ahme ihn also perfekt nach, aber er kommt direkt nach dem Stück auf mich zu und weist mich darauf hin, allerdings in aller Höflichkeit, muss ich dazusagen, nicht so sehr nach unten zu schauen. Schüchtern erwidere ich, dass ich ihn aber immer hätte so spielen sehen, darauf er: »Ich ja, aber Syd hat immer ins Publikum geschaut.«
ACHTES GESTÄNDNIS
Die Katze (4)
Obwohl wir dazu übergegangen sind, von seiner Rockoper zu sprechen, stelle ich fest, dass das Pferd weiterhin schweigt. Dann werde ich eben etwas dazu sagen. Für Kenner ist der schönste Song von THE WALL Comfortably numb , einer der wenigen, dessen Erträge Roger mit mir zu teilen bereit war. Als er mir zum ersten Mal die letzten Zeilen
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