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Mr. Shivers

Mr. Shivers

Titel: Mr. Shivers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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ihm auf. Wieder verblüffte ihn die Veränderung, und er blinzelte, damit seine Augen wieder funktionierten.
    Er schaute auf die Karte auf dem Tisch. Auf dem kleinen verwitterten Karton tanzte eine uralte Leiche und sang mit einem augenlosen Grinsen. In den zerstörten Händen hielt sie eine Sense, die sie über dem Kopf schwang, als wollte sie den Himmel selbst aufschlitzen. Der Boden zu ihren Füßen war übersät mit zur Hälfte skelettierten Gliedmaßen und Köpfen, die dort lagen wie vom Sturmwind verstreutes Fallobst, und aus der Erde krochen verdorrte Schlingpflanzen, die diese Gaben für sich beanspruchten. Connelly starrte das grinsende Gesicht an, Mund und Zähne waren in seiner Vorstellungskraft riesig, die schwarzen Augen sahen ihn an und taten es dennoch nicht.
    »Der Tod?«, fragte Connelly.
    Sie antwortete nicht.
    »Ich werde sterben? Willst du das damit sagen? Ist es das?«
    Sibyl hatte sich nicht gerührt. Das Streichholz befand sich noch immer in ihrer Hand, und ihr Blick lag noch immer auf der Karte.
    »Du bist eine verdammte Lügnerin«, sagte Connelly. »Eine gottverdammte Lügnerin. Scher dich zum Teufel!« Er stand auf, um zu gehen.
    »Sie werden nicht sterben, Connelly«, flüsterte sie. »Das nicht.«
    »Werde ich nicht?«
    Sie schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Zwei Tränen liefen in glatten Bahnen ihre Wangen hinunter.
    »Nein. Sie werden dem Tod auf dem Weg begegnen, das steht fest. Was Sie danach tun, ist eine Entscheidung, die allein Sie treffen können.« Sie öffnete die Augen. »Wissen Sie, was ich bei den anderen sah?«
    Er schüttelte den Kopf.
    Wieder wurden die Karten gemischt. Ihre rosigen Finger fuhren durch den Stapel und zogen eine hervor. Darauf war ein Mann mit einer Kappe in einem bunten festlichen Gewand, der einen Rucksack über der Schulter trug. In der Hand hielt er einen Wanderstab, und Hunde schnappten nach seinen Fersen.
    »Der Narr«, sagte sie. »Das sind sie alle, Narren. Ihr Weg ist einfacher als der Ihre. Aber vielleicht wurden Sie für den harten Weg gemacht. Für diesen und den, der weit im Westen liegt. Wo es Dinge gibt, die sich noch immer an Jahre voller ungestümer Grausamkeit erinnern.«
    Sibyl betrachtete die Karten in ihrer Hand und schleuderte sie dann wütend über die Schulter. Sie flatterten zu Boden wie von alter Kleidung aufgescheuchte Motten. Sie schüttelte den Kopf, und ihr Wutanfall erinnerte Connelly wieder an ihr Alter. Sie war kaum älter als ein Kind.
    Sie spürte seinen Blick, hob die Augen und sagte: »Sie können nichts für mich tun.«
    »Warum nicht?«
    »Ich kann genauso wenig mit dem aufhören, was ich tue, wie Sie jetzt nicht mehr umkehren können.« Sie spielte mit ihren Haaren, dann musterte sie ihn plötzlich. »Haben Sie genug für Ihr Geld bekommen?«
    Connelly schwieg.
    »Ich bin müde. Lassen Sie mich ausruhen, Connelly. Gehen Sie, wenn Sie wollen, aber lassen Sie mich ruhen.«
    Er drehte sich um und ging.
    Draußen saß der Schausteller auf der Treppe.
    »Hat’s Spaß gemacht?«, fragte er.
    Connelly stieg zu ihm herunter. Er deutete auf den Flachmann. »Geben Sie mir einen Schluck davon.«
    »Was, das hier? Klar.«
    Connelly nahm die Flasche entgegen und trank. Es war entweder Wodka oder halbwegs vernünftiger Selbstgebrannter, er vermochte es nicht zu sagen. Er atmete ein. Die Luft hatte noch immer diese widerwärtige Süße. Das geisterhafte Bild der Streichholzflamme war in die blaugrüne Nacht gebrannt.
    »Was hat Sie Ihnen gesagt?«
    »Eine Menge«, sagte er, dann gab er den Flachmann zurück und ging in Richtung der Felder. Die Musik war verstummt, und die Menschen hatten aufgehört zu singen. Irgendwo ertönte eine Hupe. Ein Kind fing an zu weinen und wollte nicht mehr aufhören.

FÜNF
    Er fand die anderen vor einem Zelt sitzend, wo sie den Schaustellern beim Abbau zusahen. Zelte fielen und lagen wie die Häute eines Fabelwesens auf dem Boden.
    »Was hat sie gesagt?«, fragte Pike.
    »Nicht viel«, antwortete er.
    »Das war albern. Wir hätten uns nicht von ihr aufhalten lassen sollen. Immerhin haben wir nun etwas Nützliches.«
    »Das scheint im Moment aber weder Verstand noch Geld zu sein. Was ist es?«
    »Der Junge da drüben«, sagte Roosevelt und deutete mit dem Kopf auf einen jungen Mann, der den Arbeitern half. »Er hat ihn gesehen.«
    »Wie haben Sie das herausgefunden?«
    »Haben herumgefragt. Ein paar Leute haben von ihm gehört, meinten, jemand hätte mit ihm gesprochen. Nämlich der Junge

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