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Mr. Shivers

Mr. Shivers

Titel: Mr. Shivers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jackson Bennett
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»Habe ich doch gesagt.«
    »Aus ihrem Mund kommen nur Lügen . Nichts als Lügen. Nur Nörgelei und Dummheiten.« Pike spukte dem Schausteller auf die Füße und folgte Roosevelt.
    »Ach, zum Teufel«, sagte Hammond und stand auf. »Jetzt bin ich neugierig.«
    »Sind wir das nicht alle?«, meinte der Schausteller, der seine Schuhe im Gras abwischte. Er schien eine solche Behandlung gewohnt zu sein. Er nahm Hammonds Geld entgegen und sah zusammen mit Connelly zu, wie Hammond durch den Perlenvorhang ging und in der Dunkelheit des Wagens verschwand.
    »Und weg ist er«, sagte der Schausteller.
    »Ja«, erwiderte Connelly.
    »Wissen Sie, es ist schon komisch, dass den meisten Leuten nicht gefällt, was Sibyl zu sagen hat.«
    »Tatsächlich?«
    »Ja. Die meisten hassen es. Und ich finde das seltsam. Ich meine, die meisten Wahrsager, die sagen etwas Nettes oder irgendwie Geheimnisvolles, das keinen Sinn macht. Alles nur heiße Luft. Aber Sibyl macht sie einfach wütend. Und sie sind so lange wütend, bis dann ein oder zwei Dinge wahr werden, dann halten sie sie für den Himmel auf Erden.«
    Connelly grunzte.
    »Unentwegt sage ich ihr, dass sie sofort aufhören soll, sobald sie etwas Gutes gesagt hat. Mach nicht weiter. Aber nein. Wenn sie jemandem eine Heirat voraussagt, nun, dann erzählt sie demjenigen, dass die Frau nach der ersten Geburt fett wird und er sie bald darauf satthat. Oder sollten die Leute Geld gewinnen, erklärt sie ihnen, sie würden es einfach für irgendeinen gottverdammten Unsinn verschwenden. Und sollten sie einen hübschen Jungen bekommen, sagt sie ihnen, dass er von zu Hause weglaufen und in der ganzen Stadt herumhuren wird. Scheiße. Das Mädchen weiß einfach nicht, wann es den Mund halten muss.«
    Sie schwiegen eine Weile.
    »Dann stimmt ja vielleicht, was sie sagt«, sagte Connelly.
    Der Schausteller trank und nickte. »Vielleicht.«
    Hammond kam mit einem spöttischen Grinsen heraus. »Ich habe sowieso noch nie an diesen Unsinn geglaubt«, sagte er. »Gehen Sie rein, wenn Sie wollen. Immerhin ist es verdammt eindrucksvoll.«
    »Danke«, sagte der Schausteller. »Sie sind dran.«
    Connelly stand auf, bezahlte den Mann und teilte den Perlenvorhang mit den Händen. Augenblicklich hüllte ihn der schwere süßliche Gestank ein, der an altes Parfüm oder verfaulte Früchte erinnerte, und er schaute zu dem Mann zurück, der bloß mit den Schultern zuckte und nickte. Connelly trat ein. Die Perlen klirrten hinter ihm, als der Vorhang fiel.
    Vorsichtig betrat er die Dunkelheit. Der Wagen war größer als gedacht. Ein paar Strahlen Sternenlicht durchdrangen die Vorhänge und stellten die einzige Beleuchtung dar. Hier schien es mehr Platz zu geben, als ein Wagen eigentlich haben dürfte.
    »Hallo?«, sagte er.
    Keine Antwort.
    »Ist hier jemand?«
    Eine Stimme murmelte: »Connelly.«
    Wenige Schritte vor ihm flammte ein Streichholz grell auf. Er starrte es mit zusammengekniffenen Augen an und erkannte rosig weiße Finger, die die Flamme an eine unförmige Kerze hielten. Sein Blick folgte der Hand und dem weißen Arm, bis er zu einem bleichen, traurigen Mondgesicht kam; die karamellbraunen Rehaugen und ein kleiner, zaghafter Mund schwebten in der Dunkelheit. Eines der Augen hatte rund um die Pupille die eitergelbe Farbe verdorbener Milch, und irgendwie hatte er den Eindruck, dass es dieses Auge war, das ihn wirklich betrachtete, ihn zugleich an- und durch ihn hindurchschaute.
    Sie war jünger, als er gedacht hatte. Sie konnte nicht älter als sechzehn sein. Einen Augenblick lang wollte er sie in sein Herz schließen, bevor er sich zusammenriss und unter Kontrolle brachte.
    »Marcus Sullivan Connelly«, sagte das Mädchen. Der Gestank von faulem Obst war überwältigend.
    »Das ist ein beeindruckender Trick«, sagte er. »Du hast die anderen nach meinem Namen gefragt?«
    »Fragen stellen ist nicht mein Geschäft. Ich beantworte sie.« Dann schloss sie die Augen, als müsste sie gegen Tränen ankämpfen, und schüttelte den Kopf.
    Connelly musterte sie. Ihre Handgelenke waren Haut und Knochen, und ihr Hals konnte kaum den Kopf stützen. Ein dünnes taubenblaues Kleidchen hing wie ein zerfetzter Vorhang von ihren Schultern herunter. Es sollte einen geheimnisvollen Eindruck machen, aber es war zerlumpt und hatte seit Monaten keine Seife mehr gesehen.
    »Setzen Sie sich«, sagte sie leise.
    Er gehorchte.
    »Ich wollte Sie nicht sehen«, sagte sie.
    »Das habe ich gehört.«
    »Ich wollte Ihnen nichts

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