Mr. Shivers
starben. In der ihr ganzes Dasein aus blindem, hungerndem Schweigen bestand, als wären sie Tiere tief unter der Erde. Aber vielleicht lag der Augenblick, in dem sich alles verändert hatte, schon viel länger zurück. Als er bei einer anderen Gelegenheit eingeschlafen war. Und unter dem blutroten Himmel der Dürre erwacht war. In diesem neuen, höllischen Memphis, das in der Spanne eines Tages, einer Stunde, einer Sekunde von Trauer zerstört worden war. In diesem Moment hatte es den Anschein, dass die Welt ein schrecklicher, verletzter Ort war, den Panik und Wahnsinn beherrschten statt Liebe und Vernunft. Ein richtungsloser freier Fall, der vielleicht auf ein Ziel ausgerichtet war, vielleicht aber auch nicht. Er vermochte es nicht länger zu sagen.
Als Connelly in dieser Nacht auf dem feuchten Boden lag, fragte er sich zum ersten Mal, ob das alles jemals zu einem Ziel führen würde. Über die Sinnlosigkeit des Ganzen hatte er nachgedacht. Hatte sich vorgestellt, wie es wäre, sich auf eine erfolglose Wanderung zu begeben, stets zu suchen und nie etwas zu finden. Und er hatte an das Gesetz gedacht, an die Möglichkeit, dass seine Zukunft auf Zementwände und feuchte Steinböden und farblose Monotonie hinauslief, sollte seine Suche von Erfolg gekrönt sein. Doch nichts davon war so schrecklich, dass eine Alternative überhaupt infrage kam. Mit einer solchen Gesetzesübertretung leben zu müssen, bedeutete in vielerlei Hinsicht das Gleiche.
Bislang hatte immer die Chance bestanden, dass er erfolgreich war und heimkehren konnte. Dass die Dinge wieder so wie früher sein würden, zumindest oberflächlich. Bevor ihm seine Tochter genommen wurde. Er würde nach Hause zurückkehren, und auch wenn es ein Zuhause ohne Molly sein würde, würde es eines sein, mit dem er leben konnte. Eines, das Sinn machte.
Jetzt schlich sich ein Hauch von Zweifel in seinen Verstand. Dass dieses Leben sehr weit weg erschien. Je weiter er reiste, desto weniger konnte er sich daran erinnern, zu was er eigentlich hoffte, zurückkehren zu können.
Er erinnerte sich daran, was seine Frau gesagt hatte, bevor er gegangen war. Erinnerte sich, wie er auf der Veranda gesessen und durch das dichte Fliegengitter dem Tanz der abgebrochenen Äste im Nachtwind zugesehen hatte, wie die Straßenlaternen sie auf dem Gras in gekrümmte Finger verwandelten. Wie er sich eine wärmende Tasse Kaffee an den Bauch hielt. An den sanften Seufzer eines friedlichen Abends in einer mit sich zufriedenen Stadt. Der Whiskey hatte bereits seinen Verstand träge gemacht, hatte seine Gedanken anschwellen lassen und wortlos gemacht. Er wusste nicht, wie lange er dort schon saß.
Er hörte sie hinter sich herankommen, drehte sich aber nicht um. Eine lange Zeit rührte sich keiner von ihnen.
»Ich gehe zu meiner Mutter«, sagte sie dann.
Er wandte sich ihr zu. Sie war hübsch angezogen. Ein gelbes Kleid mit weißer Spitze, voller Frühling. Das Haar ordentlich gebürstet. Aber in ihren Augen gab es einen Ort, an dem das Feuer schon lange erloschen war, und als sie ihn ansah, fühlte er die dahinterliegende Leere. Den leeren Ort, an dem das Gestern gewesen war.
»Gut«, sagte er.
»Ich bleibe eine Weile dort.«
»Wie lange?«
»Ich weiß es nicht. Lange genug. Vielleicht länger.«
Er nickte und wandte sich wieder der Straße zu.
»Willst du den Grund nicht erfahren?«, fragte sie.
»Den Grund?«
»Warum ich gehe.«
»Also gut. Warum gehst du?«
»Mein Gott, Marcus«, sagte sie und lehnte den Kopf gegen die Scheibe der Haustür.
»Was?«
Sie schüttelte den Kopf. Rieb die Adern auf ihrer Stirn an der Tür. »Weißt du eigentlich, dass wir gerade das erste Mal seit vier Tagen miteinander sprechen?«
»Vier Tage?«
»Ja.«
»Das kann nicht stimmen.«
»Doch.«
»Ich habe etwas gesagt. Ich habe Gute Nacht gesagt.«
»Nein. Du schläfst immer vor mir ein. Du hast unten auf dem Stuhl geschlafen. Oder hier draußen. Nachdem du getrunken hast. Manchmal habe ich in unserem Bett geschlafen. Aber das tue ich nur selten. Meistens schlafe ich in der Badewanne.«
»Warum?«
»Der Geruch. Der Geruch unseres Bettes. Ich ertrage ihn nicht. Ich weiß nicht warum.« Sie drehte sich um, ihm zu, lehnte den Rücken gegen den Türknauf. Ihr Blick wanderte zur Decke. »Das ist schon in Ordnung.«
»Was?«
»Das hier. Mrs. Echols sagt, dass sie für gewöhnlich nicht halten.«
»Was hält nicht?«
»Ehen nach dem Verlust eines Kindes.«
Connelly stand auf. Er stellte den
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