Mr. Vertigo
gesagt, trotzdem kam er in den nächsten sechs Wochen oft genug vorbei, dass mehr zwischen uns entstand als eine bloß flüchtige Bekanntschaft. Ein paarmal kam er früh am Abend allein zum Essen (wobei er jedes Gericht in Lea & Perrins Steak-Sauce ertränkte), und während er das Zeug in sich reinstopfte, saß ich bei ihm und machte Konversation. Dem Thema Baseball wichen wir aus, meist ging es um Pferde und Wetten, und nachdem ich ihm zwei ausgezeichnete Tipps gegeben hatte, begann er auf meinen Rat zu hören. Jetzt hätte ich den Mund aufmachen und ihm sagen sollen, was ich von seinem Comeback hielt, aber ich blieb stumm, auch als er die ersten Einsätze der Saison vermasselte und sich bei jedem seiner Auftritte blamierte. Inzwischen war er mir zu sehr ans Herz gewachsen, und wenn ich sah, wie sehr diese trübe Tasse sich abstrampelte, brachte ich es einfach nicht über mich, ihm die Wahrheit zu sagen.
Zwei Monate später überredete ihn seine Frau Pat, in die Minor League zu gehen und an einer neuen Wurftechnik zu arbeiten. Dahinter steckte der Gedanke, dass er abseits vom Interesse der Öffentlichkeit besser vorankommen würde – ein vollkommen hirnverbranntes Projekt, das ihn bloß in dem Wahn bestärkte, es gäbe immer noch Hoffnung für ihn. Nun fand ich zwar endlich den Mut, etwas zu sagen, war aber trotzdem zu feige, mich deutlich genug auszudrücken.
«Vielleicht ist jetzt der richtige Zeitpunkt, Diz», sagte ich. «Vielleicht solltest du jetzt einpacken und dich auf die Farm zurückziehen.»
«Ja», sagte er und sah dabei aus wie ein Häuflein Elend. «Wahrscheinlich hast du recht. Das Problem ist bloß, ich hab nichts andres gelernt als Bälle werfen. Wenn ich’s jetzt wieder verpfusche, bin ich am Arsch, Walt. Was kann ein Penner wie ich denn sonst schon machen?»
Eine ganze Menge, dachte ich, sagte es aber nicht, und am Ende der Woche reiste er nach Tulsa ab. Nie war ein großer Mann so schnell so tief gesunken. Er verbrachte eine langen, erbärmlich schlechten Sommer in der Texas League, wo er auf staubigen Plätzen gegen dieselben Teams spielte, die er zehn Jahre zuvor mit seinen Superwürfen auseinandergenommen hatte. Diesmal konnte er sich kaum auf den Beinen halten, und noch die miesesten Trottel schlugen ihm seine Würfe nur so um die Ohren. Alte oder neue Wurftechnik – das Urteil stand fest, aber Dizzy murkste weiter und ließ sich von der groben Behandlung nicht unterkriegen. Wenn er nach dem Duschen und Umziehen aus dem Stadion ging, begab er sich mit einem Stapel Renntabellen ins Hotel und telefonierte mit seinen Buchmachern. Ich organisierte in diesem Sommer ein paar Wetten für ihn, und wenn er anrief, plauderten wir fünf bis zehn Minuten miteinander und hielten uns gegenseitig auf dem Laufenden. Das Unbegreifliche dabei war für mich, wie gelassen er seine Blamage ertrug. Der Mann war inzwischen die reinste Lachnummer, und trotzdem war er immer gut gelaunt und gesprächig und riss seine Witze wie eh und je. Wozu hätte ich mit ihm streiten sollen? Es war ja bloß noch eine Frage der Zeit, also spielte ich mit und behielt meine Gedanken für mich. Früher oder später würde ihm ganz von selbst ein Licht aufgehen.
Im September holten ihn die Cubs zurück. Sie wollten sehen, ob das Provinzliga-Experiment was gebracht hatte. Seine Leistungen waren nicht grade vielversprechend gewesen, aber auch nicht ganz so desolat, wie man hätte befürchten können. Mittelmäßig war das richtige Wort – ein paar knappe Siege, ein paar vernichtende Niederlagen: In diesem Bereich spielte sich das letzte Kapitel der Geschichte ab. Nach irgendeiner verdrehten, hirnrissigen Logik kamen die Cubs zu dem Schluss, Dean habe genug von seinem alten Können gezeigt, um den Einsatz für eine weitere Saison zu rechtfertigen, und forderten ihn zurück. Ich erfuhr von seinem neuen Vertrag erst, als er für den Winter die Stadt verließ, aber dann riss mir endgültig die Geduld. Ich regte mich monatelang darüber auf. Ich war verärgert, besorgt und eingeschnappt, und als es endlich Frühling wurde, wusste ich, was ich zu tun hatte. Nicht dass ich noch andere Möglichkeiten gesehen hätte. Das Schicksal hatte mich zu seinem Werkzeug gemacht, und so schaurig die Aufgabe auch sein mochte, ich musste Dizzy retten, alles andere zählte nicht. Wenn er es selbst nicht konnte, musste eben ich für ihn einspringen.
Noch heute fällt es mir schwer zu erklären, wie sich mir eine so bescheuerte Idee in den Kopf
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