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Mr. Vertigo

Titel: Mr. Vertigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Tribüne, als Dean in Chicago die neue Saison gegen die Cubs eröffnete. Im ersten Inning, bei zwei Outs und einem Spieler auf Base, schlug Freddie Lindstrom, der vierte Batter der Cubs, einen tückischen Ball, der Dizzy am Bein erwischte und zu Boden schickte. Mir blieb das Herz stehen, als man ihn auf einer Trage vom Platz holte, aber er hatte keinen ernsten Schaden erlitten und war fünf Tage später in Pittsburgh schon wieder dabei, wo er mit einem Shutout den ersten Sieg der Saison sicherstellte. Den Rest des Jahres spielte er wieder phänomenal, aber 1935 war das Jahr der Cubs: Am Ende der Saison gewannen sie einundzwanzig Spiele in Folge, zogen an den Cardinals vorbei und holten sich den Titel. Ich kann nicht sagen, dass ich allzu geknickt war. Die Stadt lag den Cubs zu Füßen, und was gut für Chicago war, war gut fürs Geschäft, und was gut fürs Geschäft war, war gut für mich. Im Wettgeschäft dieser Saison verdiente ich mir die ersten Sporen, und als sich der Staub gelegt hatte, hatte ich mich so gut gemacht, dass mich Bingo mit einer eigenen Bude belohnte.
    Andererseits fing ich in dem Jahr an, mir Dizzys Höhen und Tiefen allzu sehr zu Herzen zu nehmen. Ich würde noch nicht von Besessenheit sprechen, aber nachdem ich gesehen hatte, wie er im ersten Inning des Eröffnungsspiels in Wrigley zu Boden gegangen war – so kurz nach dem Kopftreffer in der 34er Saison –, fühlte ich immer deutlicher, dass sich eine Wolke über ihm zusammenbraute. Es wurde auch nicht grade besser, als sich sein Bruder 36 eine schwere Armverletzung zuzog, aber noch schlimmer kam es in diesem Sommer bei einem Spiel gegen die Giants, als Burgess Whitehead ihn mit einem Bombenflachball überm rechten Ohr erwischte. Der Ball war so hart geschlagen, dass er noch bis ins linke Außenfeld davonflog. Dean ging zu Boden, kam aber sieben, acht Minuten später im Umkleideraum wieder zu Bewusstsein; dennoch lautete die erste Diagnose auf Schädelbruch. Wie sich herausstellte, war es nur eine schwere Gehirnerschütterung, die ihn für ein paar Wochen außer Gefecht setzte, aber nur wenige Zentimeter weiter, und der große Mann hätte in der Saison nicht vierundzwanzig Spiele gewonnen, sondern sich die Radieschen von unten angesehen.
    Im folgenden Frühjahr fluchte, prügelte und randalierte er wieder wie eh und je, aber er wusste es eben nicht besser. Er löste mit seinen gezielten Würfen auf den Körper der Batter Schlägereien aus, wurde in zwei Spielen hintereinander wegen Wurfantäuschungen verwarnt und inszenierte darauf einen Sitzstreik auf der Wurfplatte, und als er bei einem Bankett aufstand und den Liga-Präsidenten einen Betrüger nannte, führte der anschließende Tumult zu einem netten Cowboy-Theater, besonders nachdem Diz sich weigerte, eine förmliche Entschuldigung zu unterschreiben. «Ich unterschreib gar nichts», sagte er, doch auch ohne diese Unterschrift blieb Ford Frick nichts anderes übrig, als kleine Brötchen zu backen und Deans Sperre aufzuheben. Es erfüllte mich mit Stolz, dass er sich wie ein knallhartes Arschloch aufführte, aber andererseits hätte die Sperre seinen Auftritt bei den All-Stars verhindert, und wenn er bei diesem belanglosen Schaukampf nicht mitgewirkt hätte, wäre sein Verhängnis vielleicht noch eine Weile hinausgeschoben worden.
    Die All-Stars spielten in dem Jahr in Washington, und Dizzy startete für die National League. Die ersten zwei Innings absolvierte er in gewohnt souveräner Manier, und dann, nach zwei Outs im dritten, gab er an DiMaggio einen Single und an Gehrig einen Home Run ab. Dann war Earl Averill an der Reihe; der Clevelander Outfielder schlug Deans ersten Wurf direkt zum Wurfhügel zurück, und damit war für den größten rechtshändigen Werfer des Jahrhunderts der Vorhang gefallen. Zu dem Zeitpunkt sah das gar nicht so besorgniserregend aus. Der Ball traf ihn am linken Fuß, prallte ab zu Billy Herman an der zweiten Base, und Herman schaffte mit einem Wurf zur ersten das Out. Als Dizzy vom Platz hinkte, dachte sich keiner was dabei, nicht einmal Dizzy selbst.
    Das war der berühmte gebrochene Zeh. Wenn er nicht allzu voreilig wieder zu spielen angefangen hätte, wäre die Sache wahrscheinlich bald ausgestanden gewesen. Aber die Cardinals verloren im Rennen um den Titel den Anschluss und brauchten ihn als Werfer, und der hirnverbrannte Trottel machte ihnen weis, es sei alles in Ordnung mit ihm. Er humpelte an einer Krücke, der Zeh war so geschwollen, dass er keinen

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