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Mr. Vertigo

Titel: Mr. Vertigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Schuh anziehen konnte, und trotzdem zog er sich ein Trikot über und warf. Wie alle Giganten unter den Menschen hielt sich Dizzy Dean für unsterblich, und obwohl der Zeh so empfindlich war, dass er sich auf dem linken Fuß nicht drehen konnte, stand er die neun Innings heldenhaft durch. Wegen der Schmerzen musste er seine gewohnte Wurftechnik ändern, was eine Überdehnung des Arms zur Folge hatte. Danach spielte er mit dem lädierten Flügel zu allem Überfluss noch einen Monat lang weiter. Nach dem sechsten oder siebten Spiel wurde es so schlimm, dass er bei einem der nächsten Einsätze schon nach dem dritten Wurf vom Platz genommen werden musste. Inzwischen warf Diz Bogenlampen wie ein blutiger Anfänger, und es führte einfach nichts drumherum: Er musste für den Rest der Saison die Schuhe an den Nagel hängen.
    Aber noch ahnte kein Fan im ganzen Land, dass er am Ende war. Allgemein herrschte die Ansicht vor, ein Winter auf der Bärenhaut würde ihn auskurieren, und im nächsten April wäre er wieder der alte unschlagbare Meister. Aber er quälte sich durchs Frühjahrstraining, und dann landete Saint Louis einen der großen Coups der Sportgeschichte und verkaufte ihn für 185000 Dollar in bar und zwei oder drei flaue Ersatzspieler an die Cubs. Ich wusste, Dean und Branch Rickey, der Manager der Cardinals, waren sich nicht grün, aber ich wusste auch, dass Rickey ihn nie abgestoßen hätte, wenn er der Meinung gewesen wäre, Dizzys Arm sei noch zu gebrauchen. Es machte mich sehr glücklich, dass er nach Chicago kam, gleichzeitig aber war mir klar, dass er damit am Ende war. Meine schlimmsten Befürchtungen hatten sich bewahrheitet, und im reifen Alter von sieben- oder achtundzwanzig gehörte der beste Werfer der Welt zum alten Eisen.
    Trotzdem hatte er in diesem ersten Jahr bei den Cubs ein paar gute Momente. Zu Beginn der Saison war das Mr. Vertigo grade vier Monate alt, aber drei-, viermal konnte ich mich ins Stadion schleichen und beobachten, wie Meister Dizzy mit seinem kaputten Arm noch ein paar Innings herausholte. Ich erinnere mich noch gut an ein frühes Spiel gegen die Cardinals, ein klassisches Prestige-Duell, bei dem sich alte Teamkameraden gegenüberstanden, und er gewann das Match mit List und Tücke, indem er die Gegner mit einem ganzen Sortiment trickreicher Würfe völlig aus dem Konzept brachte. Als die Cubs dann am Ende der Saison von neuem nach dem Titel griffen, entschied ihr Trainer Gabby Hartnett zu jedermanns Verblüffung, Dizzy, koste es, was es wolle, gegen die Pirates einzusetzen. Das Spiel war der reinste Krimi, ein Wechselbad von Jubel und Verzweiflung, und Dean, der praktisch schon am Ende war, erkämpfte seiner neuen Heimatstadt tatsächlich den Sieg. Im zweiten Spiel der World Series gelang ihm beinah eine Wiederholung dieses Wunders, aber im achten Inning bekamen ihn die Yanks schließlich unter Kontrolle, und als sie im neunten ihre Attacken fortsetzten und Hartnett ihn zugunsten eines Ersatzmannes aus dem Spiel nahm, ging Dizzy unter so ziemlich dem frenetischsten Applaus vom Platz, den ich je gehört habe. Das ganze Stadion sprang auf, alles klatschte, schrie und pfiff dem großen Tollpatsch zu, und das ging so lange und war so laut, dass nicht wenige von uns mit den Tränen kämpften, als es vorbei war.
    Damit hätte er aufhören sollen. Der tapfere Krieger macht seine letzte Verbeugung und schlurft in die untergehende Sonne davon. Das hätte ich akzeptiert, es wäre in Ordnung gewesen, aber Dean war zu dämlich, er kapierte es nicht, der Abschiedsbeifall stieß auf taube Ohren. Es ärgerte mich, dass dieser Blödian einfach nicht Schluss machen konnte. Er versuchte ein Comeback, spielte wieder für die Cubs und gab sich der Lächerlichkeit preis; und wenn die 38er Saison – mit Ausnahme weniger Glanzleistungen – kläglich war, so war die 39er eine lupenreine Katastrophe. Sein Arm schmerzte so sehr, dass er kaum noch werfen konnte. Ein Spiel nach dem anderen schmorte er auf der Bank, und seine wenigen kurzen Einsätze waren bloß als peinlich zu bezeichnen. Er war lausig, lausiger als der Hund eines Penners, nicht einmal das blasseste Abbild seiner früheren Größe. Ich litt mit ihm, ich trauerte um ihn, hielt ihn aber gleichzeitig für das blödeste Rindvieh aller Zeiten.
    Ungefähr so standen die Dinge, als er im September im Mr. Vertigo auftauchte. Die Saison ging dem Ende zu, und da die Cubs aus dem Titelrennen ausgeschieden waren, erregte es kaum Aufsehen, als

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