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Mr. Vertigo

Titel: Mr. Vertigo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Hotelsafe, und sie gehören uns beiden ganz allein.»
    «Und ich dachte schon, ich wäre mal wieder am Bettelstab gelandet. Jetzt sieht die Sache natürlich ganz anders aus. Ich meine, siebenundzwanzig Riesen sind keine Kleinigkeit.»
    «Durchaus nicht. Hätte schlimmer kommen können.»
    «Das Schiff ist also noch nicht gesunken.»
    «Nicht die Spur. Wir haben gut vorgesorgt. Sollten jetzt harte Zeiten anbrechen, kann uns nichts passieren. Wir sitzen gemütlich in unserem Kahn und werden die Klippen besser umschiffen als die meisten anderen.»
    «Aye aye, Sir.»
    «Du sagst es, Maat. Alle Mann an Bord. Sobald Wind aufkommt, lichten wir den Anker – und dann stechen wir in See!»
    Ich wäre mit ihm bis ans Ende der Welt gereist. Mit dem Schiff, mit dem Fahrrad, auf allen vieren – welches Verkehrsmittel wir benutzten, spielte keine Rolle. Ich wollte bloß sein, wo er war, bloß hingehen, wo er hinging. Bis zu diesem Gespräch vor dem Hotel hatte ich gedacht, ich hätte alles verloren. Nicht bloß meine Karriere, nicht bloß mein Leben, sondern auch meinen Meister. Ich nahm an, er sei fertig mit mir, er würde mich rausschmeißen und keinen Gedanken mehr an mich verschwenden, aber jetzt wusste ich es besser. Ich war nicht nur eine wandelnde Lohntüte für ihn. Nicht nur ein Fluggerät mit rostigem Motor und beschädigten Tragflächen. Mochte kommen, was da wollte, wir würden bis zum Ende zusammenbleiben, und das war mir wichtiger als alle Sitzplätze in allen Theatern und Football-Stadien zusammengenommen. Ich will nicht behaupten, die Aussichten seien rosig gewesen, aber sie waren nicht halb so finster, wie sie hätten sein können. Meister Yehudi war noch immer bei mir, und nicht bloß das – er hatte auch die Tasche voller Streichhölzer, die uns den Weg weisen konnten.
    Wir gingen aufs Zimmer und aßen zu Mittag. Von tausend Plänen habe ich nichts gehört, aber drei oder vier hatte er auf alle Fälle, und die waren ziemlich sorgfältig durchdacht. Der Mann wollte nicht einfach aufgeben. Fünf Jahre harte Arbeit waren für die Katz, jahrzehntelange Planungen und Vorbereitungen waren über Nacht den Bach runtergegangen, aber er sprudelte vor neuen Ideen und heckte die nächsten Schritte aus, als ob wir alles noch vor uns hätten. Solche Männer gibt es heute gar nicht mehr. Meister Yehudi war der Letzte seiner Art, so einem wie ihm bin ich seither nie mehr begegnet: einem Mann, der sich im Dschungel wie zu Hause fühlte. Er war vielleicht kein König, aber er kannte die Regeln besser als jeder andere. Ob man ihm einen Tiefschlag verpasste, ihm ins Gesicht spuckte oder das Herz brach, er sprang gleich wieder auf und stellte sich jeder neuen Herausforderung. Nur nicht aufgeben. Er lebte nicht bloß nach diesem Motto, er hatte es geradezu erfunden.
    Der erste Plan war der einfachste. Wir würden nach New York ziehen und dort ein ganz normales Leben führen. Ich ginge zur Schule und erhielte eine gute Ausbildung; er würde ein Geschäft aufmachen und Geld verdienen, und wir beide wären glücklich und zufrieden. Da ich dazu nur schwieg, fing er gleich mit dem nächsten an. Wir reisen durchs Land, sagte er, und halten in Colleges, Kirchen und Damengesellschaften Vorträge über die Kunst des Fliegens. Wir werden, zumindest in den nächsten sechs Monaten oder so, noch sehr gefragt sein, und warum sollten wir nicht von Walt dem Wunderknaben profitieren, bis der allerletzte Rest deines Ruhmes verflogen ist? Auch das gefiel mir nicht, also fing er achselzuckend mit dem nächsten an. Wir packen unsere Sachen, sagte er, steigen ins Auto und fahren nach Hollywood. Du beginnst eine neue Karriere als Filmschauspieler, und ich bin dein Agent und Manager. Bei dem Aufsehen, das du mit deiner Nummer erregt hast, dürfte es nicht schwierig sein, dir einen Termin für Probeaufnahmen zu besorgen. Du hast bereits einen großen Namen, und bei deinem Talent für Slapstick wirst du wahrscheinlich in kürzester Frist ganz groß einschlagen.
    «Ah», sagte ich. «Das hört sich schon besser an.»
    «Ich dachte mir, dass dir das gefällt», sagte der Meister, indem er sich auf seinem Stuhl zurücklehnte und eine dicke kubanische Zigarre anzündete. «Drum habe ich es mir bis zum Schluss aufgespart.»
    Und damit waren wir wieder im Spiel.

Früh am nächsten Morgen verließen wir das Hotel, und um acht Uhr waren wir auf der Straße nach Westen, unterwegs zu einem neuen Leben auf den sonnigen Hügeln der Glitzerstadt. Damals war das eine

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