Mr. Vertigo
Slim und seine Leute über den Wagen hermachten und die Geldkassette aus dem Kofferraum raubten. Noch wie sie die drei anderen Reifen aufschlitzten. Noch wie sie die Koffer aufmachten und unsere Kleider auf dem Boden verstreuten. Warum sie uns am Ende nicht erschossen haben, ist mir immer noch ein Rätsel. Sie müssen darüber gesprochen haben, ob sie uns umbringen sollten oder nicht, aber ich habe nichts gehört und kann nicht mal spekulieren, warum sie uns haben laufenlassen. Vielleicht hielten sie uns schon für tot, vielleicht war es ihnen scheißegal. Sie hatten die Kassette mit unserem ganzen Geld, und falls wir bei ihrem Aufbruch doch noch Lebenszeichen von uns gaben, glaubten sie wohl, wir würden sowieso an unseren Verletzungen sterben. Sie hatten uns bis auf den letzten Cent ausgeraubt, und das einzig Tröstliche dabei war die relative Geringfügigkeit des Betrags, den sie ergattert hatten. Slim muss gedacht haben, wir hätten Millionen. Er muss mit einem absoluten Haupttreffer gerechnet haben, und nun hatten ihm seine Mühen nur lumpige siebenundzwanzigtausend Dollar eingebracht. Durch vier geteilt, blieb da kaum noch was übrig. Eigentlich bloß ein bisschen Taschengeld, und der Gedanke an seine Enttäuschung war eine Freude für mich. Jahrelang wärmte ich mich an der Vorstellung, wie sehr ihn das niedergeschmettert haben muss.
Ich werde wohl eine Stunde lang k.o. gewesen sein – vielleicht ein bisschen länger, vielleicht ein bisschen kürzer. Wie auch immer, als ich aufwachte, lag ich auf dem Meister. Er war noch bewusstlos, und wir zwei klebten ineinander verkeilt und mit blutgetränkten Kleidern an der Fahrertür. Ich stellte mühsam die Augen scharf und sah als Erstes eine Ameise, die über einen kleinen Stein marschierte. Mein Mund war voll bröckliger Erdkrumen, mein Gesicht in den Boden gedrückt. Das Fenster war nämlich zur Zeit des Unfalls offen gewesen, und das war wohl unser Glück, falls man bei der Schilderung solcher Dinge überhaupt von Glück reden kann. Immerhin war ich mit dem Kopf nicht durch das Glas geknallt. Dafür konnte ich wohl dankbar sein. Immerhin hatte es mir nicht das Gesicht zerfetzt.
Die Stirn tat mir wahnsinnig weh, ich war am ganzen Körper zerschunden, hatte mir aber nichts gebrochen. Das stellte sich heraus, als ich aufstand und die Tür über mir zu öffnen versuchte. Bei irgendeiner schweren Verletzung hätte ich mich gar nicht rühren können. Trotzdem war es nicht leicht, das Ding nach oben zu drücken. Es wog eine halbe Tonne; dazu kam die seltsame Schräglage des Wagens und die Schwierigkeit, den erforderlichen Druck anzusetzen, sodass ich fünf Minuten schuften musste, bis ich durch die Luke klettern konnte. Warme Luft schlug mir ins Gesicht, aber nach der Bruthitze im Innern des Pierce Arrow kam sie mir richtig kühl vor. Ich blieb kurz da oben sitzen, spuckte Erde und atmete gierig die laue Brise ein, aber dann machte ich den Fehler, mich auf die glühendheiße Karosserie zu stützen, und musste abspringen. Ich stürzte zu Boden, rappelte mich hoch und taumelte um den Wagen herum auf die andere Seite. Dabei sah ich den offenen Kofferraum und bemerkte, dass die Geldkassette weg war, aber da ich mir das sowieso schon gedacht hatte, hielt ich mich gar nicht erst damit auf. Die linke Seite des Wagens war auf einer Felsnase gelandet, und zwischen dem Boden und der Tür war ein Spalt von etwa zwanzig Zentimetern frei geblieben. Für meinen Kopf war die Öffnung zu schmal, aber als ich mich flach auf den Boden legte, konnte ich so weit hineinblicken, dass ich den Kopf des Meisters aus dem Fenster hängen sah. Ich kann nicht erklären, wie es kam, aber kaum hatte ich ihn in dem schmalen Zwischenraum erspäht, schlug er die Augen auf. Er sah sich von mir beobachtet, worauf er sofort das Gesicht zu einer Art Lächeln verzog. «Hol mich hier raus, Walt», sagte er. «Mein Arm ist völlig ruiniert, allein kann ich es nicht.»
Ich rannte wieder um den Wagen herum, zog das Hemd aus und wickelte es mir als provisorischen Schutz vor dem heißen Metall um die Hände. Dann kletterte ich nach oben, stützte mich auf den Rahmen der offenen Tür und griff nach unten, um den Meister hinauszuziehen. Leider hatte es ihn an der rechten Schulter erwischt, er konnte den Arm nicht ausstrecken. Mühsam versuchte er sich herumzuwälzen und mir den anderen Arm zu reichen, aber das war schwer, wirklich schwer, und ich sah, was für entsetzliche Qualen er litt. Ich sagte ihm, er solle
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