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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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an den Ellbogen und Knien bekommen würden.
    »Guten Morgen, Major. Sie kommen doch, bevor es losgeht, noch auf eine Tasse Tee und ein Schinkensandwich mit hinein, oder?« Dagenhams Nichte hatte ihn am Ellbogen gefasst. Sie wirkte leicht angespannt. »Ich fürchte, ich habe es etwas übertrieben mit dem leichten Frühstück.« Sie bugsierte ihn in das hohe Vestibül, wo das Feuer im weißen Marmorkamin nicht mehr als eine Illusion von Wärme über die Kälte zu legen vermochte, die vom schwarz-weißen Steinboden aufstieg und ungehindert durch die alten, dünnen Scheiben der riesigen Fenster kroch. Der Raum war unmöbliert, wenn man von zwei imposanten geschnitzten Holzstühlen absah, die zu schwer, vielleicht aber auch zu geschmacklos überladen waren, als dass man sie entfernt hätte.
    An einer Wand stand ein Büfetttisch mit einer Platte, die von aufgeschichteten Schinkensandwiches überquoll. Eine große ovale Schüssel voller Würstchen und ein Korb mit Muffins rundeten den »leichten Imbiss« ab. Ein riesiger Samowar und mehrere kaffeegefüllte Thermoskannen schienen auf Gäste zu warten, deren Anzahl die der tatsächlich Erschienenen – insgesamt etwa zwanzig – um ein Mehrfaches übertraf. Der Geruch von feuchtem Tweed vermischte sich mit den noch nicht völlig verschwundenen Anstaltsgerüchen nach Kohl und Wäschebleiche. »Mein Onkel findet es etwas üppig, weil es ja nach der Jagd noch ein warmes Frühstück gibt.«
    »Die langen aber nicht schlecht zu«, sagte der Major, und tatsächlich luden sich einige Londoner Banker gerade die Teller voll, als hätten sie seit Tagen nichts gegessen. Der Major fragte sich, wie sie mit so vollem Magen einen schweren Gewehrlauf schwenken wollten. Er selbst nahm sich nur eine Tasse Tee und das kleinste Schinkensandwich, das er finden konnte. Während er es sich schmecken ließ, hielt ein cremefarbener Bentley vor der offen stehenden Tür, und Ferguson, der Amerikaner, stieg aus.
    Der Major hörte zu kauen auf und beobachtete, wie Ferguson einigen Leuten auf der Treppe die Hand gab. Der Amerikaner trug eine Jagdjacke mit einem Schottenkaro, das dem Major unbekannt war: grelles Magenta, durchzogen von grünen und orangeroten Linien. Der Wollstoff selbst erinnerte in seiner Dicke eher an eine Armeedecke als an einfach gewebten Tweed. Darüber hinaus hatte er sich für rötlich braune Breeches und cremefarbene Strümpfe entschieden, die in glänzenden neuen Schuhen steckten. Seinen Kopf schmückte eine flache Jagdkappe in zu hellem Grün, und in den Kragen seines cremefarbenen Seidenhemdes hatte er ein gelbes Halstuch gestopft. Er erinnerte den Major an einen Zirkusschreier oder an einen heruntergekommenen Schauspieler, der in der Sommertheater-Inszenierung eines wiederaufgenommenen Stücks von Oscar Wilde den Gutsherrn spielt. Ihm folgte ein blasser junger Kerl in tadellos zerknitterter Kleidung, der aber Stiefel, die viel zu sehr glänzten, und auf dem Kopf statt einer Kappe einen weichen Filzhut trug. Als sie das Vestibül betraten, wurde es mehrere Sekunden lang vollkommen still; selbst die Banker unterbrachen ihre Völlerei und starrten die beiden Männer an. Ferguson nahm seine Kappe ab und winkte den Versammelten damit zu.
    »Guten Morgen, alle miteinander«, rief er. Dann entdeckte er Dagenham und näherte sich ihm, wobei er seine Kappe schwenkte wie ein Hund, der stolz ein Kaninchen vorzeigt. »Na, Doppel-D, hoffentlich waren das nicht unsere Enten, die da vorhin über die Downs Richtung Frankreich geflogen sind!« Ringsum wurde leise gelacht; offenbar hatte man kollektiv beschlossen, Fergusons befremdliche Aufmachung zu ignorieren. Die Anspannung ließ spürbar nach, man wandte sich bewusst wieder ab, und bald hatten sich erneut kleine Gesprächsgruppen gebildet. Dagenham brauchte ein bisschen länger als die anderen, um sich das Staunen aus dem Gesicht zu wischen, während er Ferguson die Hand schüttelte und lautstark mit dessen jungem Assistenten, einem gewissen Mr. Sterling, bekannt gemacht wurde. Der Major betrachtete es als Zeichen dafür, dass durch Lord Dagenhams Adern immer noch so etwas wie gute Erziehung floss.
    »Na, wie finden Sie die neuen Klamotten?« Ferguson vollführte eine halbe Drehung, damit man sein Outfit besser betrachten konnte. »Habe den alten Familien-Tartan zu neuem Leben erweckt.«
    »Sehr flott«, sagte Dagenham, hatte aber immerhin den Anstand, angewidert das Gesicht zu verziehen.
    »Ein bisschen viel für eine Entenballerei im

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