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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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sollten alle vor zehn Minuten im Bus sein«, sagte Dagenham. »Meine Gäste treffen gerade ein.«
    »Ist ja nichts passiert«, beschwichtigte ihn der Major.
    »Ganz so einfach ist die Sache nicht«, wandte Alice ein und richtete sich auf. »Die Kinder sind im Augenblick verständlicherweise sehr durcheinander.«
    »Meine Güte, ich spendiere ihnen einen Ausflug zur Bowlingbahn und ein Eis auf dem Pier – warum zum Teufel sind sie dann durcheinander?« Alice kniff die Augen auf eine Art zusammen, die, das wusste der Major, bedenklich war.
    »Sie wissen das mit den Enten«, flüsterte sie und führte den Jungen weg. Er ging mit, begann jedoch wieder zu winseln. »Sie sind zwar klein, aber dumm sind sie nicht!«, fügte sie mit erhobener Stimme hinzu.
    »Heute Abend gibt es Entensuppe«, sagte Dagenham leise. Alice warf ihm einen nahezu tödlichen Blick zu und verschwand mit dem Jungen hinter der Hecke. »Gut, dass das nur Sie waren, Major«, sagte Dagenham. »Hätte sonst ziemlich peinlich werden können.«
    »Na, dann bin ich ja froh, dass ich sie abgefangen habe«, sagte der Major, nachdem er beschlossen hatte, Dagenhams Bemerkung als Kompliment aufzufassen.
    »Ich dachte schon, es wären Protestler von dieser verdammten ›Rettet unser Dorf‹-Demonstration unten an der Straße. Das ist wirklich der Gipfel der Unverschämtheit – die werfen sich einfach vor die Autos meiner Gäste. Ich hatte schon Angst, sie würden hier eindringen.«
    »Hoffentlich wurde niemand verletzt.«
    »Nein, nein, diese Limousinen haben schließlich einen ziemlich robusten Kühlergrill. Kaum ein Kratzer zu sehen.«
    »Schön zu hören«, sagte der Major gedankenverloren und fragte sich besorgt, ob Alice auch ›eingedrungen‹ sein könnte und was sie sonst wohl noch vorhatte.
    »Kommen Sie, wir gehen zum Haus«, sagte Dagenham. »Hoffentlich hat Morris’ Frau es inzwischen gut durchgelüftet.« Der Wildhüter, Morris, nickte.
    »Gegen fünf Uhr früh haben wir die Fenster geöffnet«, sagte er. »Die Hausmutter war zwar nicht gerade begeistert, aber ich habe ihr gesagt, dass ein bisschen frische Luft noch keinen umgebracht hat.«
    Auf dem Weg zum Herrenhaus meinte Dagenham: »Ich hatte ja keine Ahnung, dass Schüler einer Privatschule so stinken. Ich dachte damals, eine Schule wäre immer noch besser als ein Altersheim, aber das war ein Irrtum.« Er seufzte und schob die Hände in die Taschen. »Die alten Leutchen kann man wenigstens ruhigstellen, ohne dass sich irgendwer darüber aufregt, aber die Kinder sind immer so putzmunter. Und diese Kunstlehrerin eben ist die Allerschlimmste, die bestärkt sie auch noch. Ständig hängen sie ihre Bilder in den Gängen auf. Der Putz ist schon übersät mit Klebestreifen und Reißnagellöchern. Ich habe der Hausmutter gesagt, die sollten besser was Nützliches lernen, Griechisch oder Latein. Ist mir egal, dass sie erst fünf oder sechs sind, man kann gar nicht früh genug damit anfangen.« Er schwieg eine Weile, straffte schließlich die Schultern und atmete tief die kühle Morgenluft ein. Den Major beschlich das ungute Gefühl, etwas zu Alices Verteidigung sagen zu sollen, zumindest aber anzudeuten, dass sie eine Bekannte und Nachbarin von ihm war. Aber er wusste nicht, wie, ohne Lord Dagenham zu verärgern, und so sagte er nichts.
     
    Als die drei Männer in den Hof des georgianischen, aus Sandstein errichteten Herrenhauses traten, sah der Major, dass sich sein Wunsch erfüllt hatte. Dort stand eine kleine Gruppe von Männern, die Kaffee tranken und Snacks knabberten. Die letzten Luxuslimousinen bogen gerade rechtzeitig in die Einfahrt ein, um ihn sowohl in Begleitung des Wildhüters als auch des Hausherrn kommen zu sehen. Alles wäre perfekt gewesen, hätte es nicht zwei kleinere Schönheitsfehler gegeben. Der eine bestand in dem alten grünen Bus, der in diesem Augenblick durch dasselbe Tor davonfuhr und hinter dessen Fenstern die plattgedrückten Gesichter kleiner, wütender Kinder zu erkennen waren. Alice Pierce lief ihnen winkend nach. Der andere Makel war der Anblick von Roger, der soeben in einer steifen neuen Jagdjacke, an deren Saum noch ein Etikett baumelte, aus einem der Autos stieg. Ohne seinen Vater wahrzunehmen, begrüßte Roger geschäftig einen zweiten Wagen voller Gäste. Dankbar beschloss der Major, Roger ebenfalls nicht zu sehen, und hoffte, dass die Jacke und die Moleskin-Breeches seines Sohns innerhalb der nächsten dreißig Minuten wenigstens ein paar anständige Falten

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