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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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und demütig – über Ihren Ratschlag nachdenken.« Er trank seinen Tee aus, stand auf und wandte sich zum Gehen. »Aber eines muss ich Sie noch fragen: Können Sie überhaupt ermessen, was es bedeutet, in eine unpassende Frau verliebt zu sein?«
    »Mein lieber Junge«, antwortete der Major, »andere gibt es doch gar nicht.«

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    Fünfzehntes Kapitel
    R ot und dunstverhangen stand die Sonne kaum sichtbar über den Hecken, als der Major mit knirschenden Schritten über das steifgefrorene Gras lief. Er hatte beschlossen, den Weg durch die Weiden zum Herrenhaus zu Fuß zurückzulegen, um vor der übrigen Jagdgesellschaft da zu sein. Aus einem dunklen Stechpalmenstrauch heraus zwitscherte ein Rotkehlchen den vernebelten Hügeln ein Solo vor.
    Auf diesen Tag hatte er zu lange gewartet, als dass er ihn abgehetzt oder mit knatterndem Motor, umhüllt von Auspuffgasen und spritzendem Kies, beginnen wollte. Er hatte keine Angst, sein Rover könnte zwischen den glänzenden Luxusgefährten und Geländewagen der Londoner dürftig wirken. Er empfand keinen billigen Neid. Er wollte ganz einfach die Feierlichkeit des Zufußgehens genießen. Wunderbar ausbalanciert lagen die beiden Gewehre gekippt in seiner Armbeuge. Berties Flinte war inzwischen so gut eingeölt, dass ihr Hochglanz fast an die Patina seiner eigenen Waffe heranreichte. Er genoss das Knarzen der Nähte seines alten Jagdmantels und das Gewicht der Taschen. Die mit Schrot gefüllten Patronenhülsen aus Messing wölbten den gewachsten Baumwollstoff. Eine alte Jagdtasche hing ihm an einem Gurt quer über die Brust und schlug bei jedem Schritt an die Hüfte. Heute würde sie wahrscheinlich leer bleiben – Dagenham würde die Enten bestimmt von den Treibern für die Jäger einsammeln lassen –, aber es war ein schönes Gefühl, sie umzuschnallen, und man konnte darin gut einen frischen, in Folie verpackten Kendal Mint Cake verstauen, den von ihm bevorzugten Imbiss bei jeder Jagd, an der er teilnahm. Der Riegel, bestehend aus gepresstem, mit Pfefferminzöl aromatisiertem Zucker, den er per Post vom Originalhersteller in Cumbria bezog, war eine sauber in kleinen Stücken abgepackte Leckerei und ließ sich daher ideal reihum anbieten – ganz im Gegensatz zu den zerquetschten Schinkensandwiches, die manche Farmer aus den Taschen zogen und mit schießpulververschmierten Fingern teilten. Aber heute, dessen war er sich sicher, würde es weder zerquetschte Sandwiches noch lauwarmen Tee geben.
    Während er seine Stiefel über einen Zauntritt schwang und mit einem Sprung eine schlammige Stelle überwand, bedauerte er, dass Mrs. Ali ihn jetzt nicht sehen konnte, so schmuck als Jäger und Sammler ausstaffiert, wie er war. Kipling, dachte er, hätte sich für die Großwildjagd mit Cecil Rhodes ganz ähnlich gekleidet. Er sah sie förmlich vor sich, wie sie weiter vorn auf ihn warteten, um seine Meinung über Cecils jüngste Probleme beim Aufbau einer neuen Nation einzuholen.
    Fast augenblicklich tadelte er sich wegen dieser flüchtigen Phantasie. Die Ära der großen Männer, in der ein einzelner intelligenter und visionärer Mensch in den Lauf der Welt eingreifen konnte, war längst vorbei. Er war in eine viel kleinere Zeit hineingeboren worden, in der sich die Tatsachen nicht mit noch so viel Tagträumerei verändern ließen. Und ebenso wenig machten zwei schöne zusammengehörige Flinten irgendwen zu einem bedeutenderen Menschen, ermahnte er sich und beschloss, trotz der Komplimente, die er zwangsläufig erhalten würde, den ganzen Tag über bescheiden zu bleiben.
    Am Rand dessen, was vom Park des Herrenhauses übrig geblieben war, begann eine kurze Ulmenallee mit wildem Astgewirr – gestutztes Überbleibsel eines Reitwegs, der sich einst über mehr als einen Kilometer erstreckt hatte. Deutlich war zu sehen, dass hier seit einem Jahrzehnt kein Baumpfleger mehr am Werk gewesen war. Das Gras zu seinen Füßen war von Schafshufen zertreten und roch nach Moos und Mist. Primitive Drahtkäfige und ein Plastikbehälter mit Anschluss an einen kleinen Generator zeugten von der Entenzucht des Wildhüters. Jetzt waren die Käfige leer. Im Frühling würden darin wieder mit der Hand aufgezogene Küken untergebracht werden. Der Wildhüter, dem auch die laufenden Instandhaltungsarbeiten am Herrenhaus und am umliegenden Gelände oblagen, war nirgends zu sehen. Das enttäuschte den Major; er hatte sich auf ein Gespräch über den Zustand des diesjährigen Schwarms und die heutige

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