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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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Anordnung der Jagdstände gefreut. Er hatte sich nämlich in der Vorstellung gefallen, nach einem solchen Gespräch mit dem Wildhüter im Schlepptau auf den kiesbedeckten Innenhof zuzugehen und so den Burschen aus London von Anfang an klarzumachen, dass sie in ihm einen jagdkundigen Einheimischen vor sich hatten. Als es in einer verwilderten Rhododendronhecke raschelte, schöpfte er neue Hoffnung, doch noch während er zu einem Lächeln ansetzte und nach einer angemessen lockeren Begrüßung suchte, sprang ein kleiner, blasser Junge hervor und blieb, den Blick starr auf die Gewehre des Majors gerichtet, stehen.
    »Hallo, wen haben wir denn da?«, fragte der Major. Er bemühte sich, die verlotterte Schuluniform des Jungen – den abgewetzten Hemdkragen, die zerschlissene Krawatte und das Sweatshirt, das er statt eines ordentlichen Pullis oder Blazers trug – mit nicht allzu gequälter Miene zu betrachten. Der Junge war vier, fünf Jahre alt, und der Major erinnerte sich daran, wie er mit Nancy darüber gestritten hatte, ob Roger mit elf ins Internat sollte. Über diese Schule und ihre winzigen Schüler hätte sie viel zu sagen gehabt, dachte er. »Keine gute Idee, kurz vor Beginn einer Jagd Verstecken zu spielen!«, erklärte er mit Nachdruck. »Hast du dich verirrt?«
    Der Junge schrie. Der Schrei klang wie eine Motorsäge, die durch Wellblech schneidet. Der Major ließ vor Schreck fast seine Flinten fallen.
    »Es gibt keinen Grund, so zu brüllen«, sagte er, aber der Junge übertönte ihn mit dem Schwall seines Geheuls. Der Major trat einen Schritt zurück, brachte es jedoch nicht über sich, einfach weiterzugehen. Ihm war, als würde ihn der schreiende Junge auf Schallwellen aufspießen. Plötzlich strich ein Schwarm Enten wie ein gefiederter Aufzug steil in den Himmel auf. Der Teich war nah, und das Gebrüll des Jungen hatte die ganze Entenbrigade in Bewegung gesetzt.
    »Ruhe jetzt!«, sagte der Major mit erhobener, ruhige Autorität ausstrahlender Stimme. »Du darfst die Enten nicht erschrecken.«
    Das Gesicht des Jungen verfärbte sich violett. Der Major überlegte, ob er zum Haus laufen sollte, befürchtete aber, dass der Junge ihm folgen würde.
    »Was ist denn los?« Die vertraute Frauenstimme kam von der anderen Seite der Hecke. Laut raschelnd bahnte sich Alice Pierce einen Weg hindurch, wobei sich mehrere Zweige in den bolligen orange- und dunkelroten Wollblumen verfingen, die alle miteinander einen gewaltigen Poncho bildeten. Alices Haar wurde von einem zusammengerollten, giftgrünen Tuch nur teilweise in Schach gehalten, und unter dem Poncho waren eine weitgeschnittene grüne Hose sowie ein Paar abgewetzte schwarze Schaffellstiefel zu sehen. »Was machst du denn hier, Thomas?«, fragte sie den Jungen und ergriff sanft seinen Arm. Der Junge schloss den Mund und deutete auf den Major. Alice runzelte die Stirn.
    »Gut, dass Sie da sind, Alice«, sagte der Major. »Er hat ohne jeden Grund angefangen zu schreien.«
    »Dann glauben Sie also nicht, dass ein fremder Mann mit zwei riesigen Gewehren ein Grund dafür wäre?« Alice zog in gespieltem Erstaunen eine Braue hoch und drückte den Jungen fest an ihren üppigen Poncho. Er begann, leise vor sich hin zu wimmern, und der Major konnte nur hoffen, dass er getröstet und nicht etwa erstickt wurde. Der Major hatte keine Lust, sich auf eine Diskussion mit Alice einzulassen. »Warum sitzt du nicht im Bus, Thomas?«, fragte sie und strich dem Kleinen übers Haar.
    »Es tut mir sehr leid, kleiner Mann«, sagte der Major. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«
    »Ich wusste nicht, dass Sie hier sind, Major«, warf Alice ein. Sie wirkte besorgt.
    »Zur Jagd, meinen Sie? Ich gehe davon aus, dass Sie das nicht gutheißen.«
    Alice erwiderte nichts; sie runzelte nur die Stirn, als ließe sie sich etwas durch den Kopf gehen.
    »Was machen Sie hier?«, fragte der Major. »Beaufsichtigen Sie die Kinder?«
    »Nicht direkt«, antwortete Alice erkennbar ausweichend. »Das heißt – ich muss Thomas jetzt sofort zur Hausmutter zurückbringen.«
    Wieder raschelte das Gestrüpp, und Lord Dagenham erschien mit dem Wildhüter.
    »Was zum Teufel sollte dieser Lärm?«, fragte Dagenham.
    »Der Major hat Thomas mit seinen Gewehren erschreckt«, erklärte Alice. »Aber jetzt ist alles wieder in Ordnung – ihr habt Freundschaft geschlossen, nicht wahr, Thomas?« Der Junge warf dem Major unter Alices Arm hervor einen bösen Blick zu und streckte ihm die Zunge heraus.
    »Die Kinder

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