Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
fürchtete, der Amerikaner könnte die haarsträubende Bitte äußern, sie sich ausleihen zu dürfen. Der Major nickte seinem jungen rothaarigen Jagdhelfer zu und reichte ihm schweigend eine der Flinten und eine Schachtel Patronen.
»Haben Sie’s bequem, Pettigrew?«, fragte Lord Dagenham leise und klopfte ihm im Vorbeigehen auf die Schulter. »Zeigen Sie unserem amerikanischen Freund mal, wie es geht, ja?«
Schweigend wartete die Jagdgesellschaft. Der Major atmete die kalte Luft ein, und seine Stimmung hellte sich auf. Das Gras auf der Weide hatte im kräftiger werdenden Sonnenlicht zu dampfen begonnen, und das bevorstehende Vergnügen jagte ihm das Adrenalin durch die Glieder. Er dachte an Mrs. Ali, die jetzt noch friedlich im Bett lag und hinter ihren geblümten Vorhängen träumte. Bald würden die Flinten über dem Tal sie mit ihrem Knallen wecken. Er gestattete sich die Vorstellung, wie er am Abend, nach Schießpulver und regennassem Leder riechend, ihren Laden betrat und aus seiner Jagdtasche ein prachtvoller, in den Farben des Regenbogens schillernder Erpel heraushing. Ein urtümliches Speiseopfer, der Frau dargeboten vom Mann, und eine wunderbar altmodische Absichtserklärung. Andererseits, sinnierte er weiter, wusste man heutzutage nie, ob ein Geschenk in Form einer toten Stockente mit blutiger Brust voller stahlharter Schrotkugeln und von Hundespeichel verklebtem Hals nicht eher als Ärgernis betrachtet wurde.
Am anderen Teichufer ertönte lautes Geklapper und scheuchte die Enten fast senkrecht in die Höhe. Das war Morris, der Wildhüter, der die Innenseite eines alten Ölfasses mit einem Cricketschläger bearbeitete. Die Enten waren dazu abgerichtet, auf dieses Signal hin wegzufliegen. Sie verschwanden im Süden, hinter dem Wald, und ihre Schreie, quietschend wie alte Türangeln, wurden leiser. Der Major lud sein Gewehr. Als er es an die Schulter hob, war ihm, als hielte die ganze Welt den Atem an. Er atmete langsam ein und aus und entspannte Schultern und Finger.
Von fern ertönten wieder die Entenrufe und wurden lauter und lauter, bis sich über die Weide hinweg eine Welle aus vielstimmigem Gekreisch näherte, gefolgt von hektischem Flügelgeflatter. Das ganze Geschwader überflog in einer Kurve den Wald und ging auf Höhe der Weide in den Sinkflug, um den heimatlichen Teich zu erreichen. Der erste Schuss fiel, gleich darauf wurde aus jedem Stand auf das Flügelgewirr gefeuert. Schießpulvergeruch hing in der Luft, und nach und nach schlugen kleine Päckchen auf dem harten Gras auf. Der Major hatte Pech mit einem Schuss auf einen fetten Erpel, als Ferguson, nachdem er sein Ziel verfehlt hatte, noch einmal, weitab von seinem eigenen Schussfeld, auf das Tier feuerte. Nur den Bruchteil einer Sekunde lang musste der Major auf die nächste vorbeifliegende Ente warten. Er visierte sein Ziel an, schwenkte das Gewehr ganz ruhig entsprechend dem richtigen Vorhaltemaß, betätigte den Abzug, fing den starken Rückstoß gegen die Schulter auf, während er voll durchzog, und sah tief befriedigt zu, wie der tote Vogel hinabfiel. Ferguson knallte eine zweite Ente ab, die an der untersten Grenze dessen strich, was man noch als sportliche Höhe bezeichnen konnte. Der Major richtete seine Flinte nach oben und gab einen schwierigen Schuss auf einen hoch aufsteigenden und sich dabei ein Stück entfernenden Vogel ab. Die Ente fiel am anderen Ende der Weide zu Boden. Der Major notierte sich den Treffer, bevor er dem Jagdhelfer seine leere Waffe nach hinten reichte und die zweite, Berties Flinte, entgegennahm. Beim dritten Mal verfehlte er, aber die Flinte funktionierte reibungslos und lag perfekt ausbalanciert und stabil in den Händen. Er dachte daran, wie viel diese Waffen seinem Vater bedeutet hatten. Er dachte an Bertie, und ihm kam in den Sinn, dass er und sein Bruder in den letzten, vergeudeten Jahren vielleicht genauso voneinander getrennt gewesen waren wie die beiden Gewehre. Er folgte einer weiteren Ente, schoss aber nicht – vielleicht weil der Schwarm lichter wurde, vielleicht aber auch, weil ihn so starke Gefühle überkamen. Ferguson erlegte einen Nachzügler, der gemächlich herangeflattert kam, als hätte er sich bereits dem unausweichlichen Tod gefügt.
Lautes Geplansche auf dem Teich verriet, dass viele Enten das Trommelfeuer überlebt hatten und nun wie Politiker über ihre Optionen stritten. Schon nach wenigen Minuten schlug Morris erneut auf das Ölfass, und alle strichen auf, um ihre
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