Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
wenden.
»Nein, sie ist schon weg, sie muss beim Dekorieren helfen. Mrs. Green hat sie vorhin abgeholt. Jetzt bin nur noch ich da.« Mrs. Ali hatte fast stammelnd gesprochen, und die Haut über ihren Wangenknochen färbte sich rot. Sie sah wie ein junges Mädchen aus, fand der Major. Er wünschte, er wäre noch ein Junge, jungenhaft ungestüm. Einem Jungen konnte man den linkischen Versuch eines Kusses verzeihen, wohl kaum dagegen einem Mann mit schütter werdendem Haar und schwindendem Elan.
»Nichts könnte mich mehr freuen«, sagte der Major. Da auch noch das Problem zu lösen war, was er mit den zwei schon leicht herabhängenden Rosen in seiner Hand tun sollte, streckte er ihr beide entgegen.
»Ist die eine für Grace? Ich stelle sie rasch in eine Vase.« Er öffnete den Mund, um ihr zu sagen, dass sie unglaublich schön aussah und einen ganzen Armvoll Rosen verdient hätte, aber dann blieben ihm die Worte im Hals stecken, wurden aufgehalten von den Teilen seines Gehirns, die rund um die Uhr damit beschäftigt waren, alles zu tun, damit er sich nicht der Lächerlichkeit preisgab.
»Leider schon ein bisschen verwelkt«, sagte er. »Aber die Farbe passt sowieso nicht zu Ihrem Kleid.«
»Gefällt es Ihnen?« Sie senkte den Blick und betrachtete den Stoff. »Ich habe Grace etwas geliehen, und sie wollte unbedingt, dass ich mir im Gegenzug etwas von ihr borge.«
»Sehr schön«, sagte er.
»Es gehörte der Großtante von Grace, die eine ziemlich flotte Dame war und als alleinstehende Frau mit zwei blinden Terriern und ständig wechselnden Liebhabern in Baden-Baden lebte.« Sie hob den Blick und sah den Major besorgt an. »Das Schultertuch reicht doch hoffentlich?«
»Sie sehen perfekt aus!«
»Ich komme mir ziemlich nackt vor. Aber Grace hat erzählt, dass Sie immer einen Smoking tragen, und da wollte ich etwas tragen, das – das zu dem passt, was Sie tragen.« Sie lächelte, und der Major spürte, wie noch mehr Jahre von ihm abfielen. Der jungenhafte Wunsch, sie zu küssen, wallte wieder in ihm auf. »Außerdem ist ein Shalwar Kamiz für mich nicht gerade eine Verkleidung.«
Der Major erzielte einen spontanen Kompromiss mit sich selbst und griff nach ihrer Hand, führte sie an seine Lippen und schloss die Augen, bevor er die Knöchel küsste. Sie duftete nach Rosenwasser und irgendeinem klaren, würzigen Parfum, Lindenblüte vielleicht. Als er die Lider aufschlug, hatte sie den Kopf abgewandt; aber sie versuchte nicht, ihre Hand seinem Griff zu entziehen.
»Ich bin Ihnen hoffentlich nicht zu nahe getreten«, sagte er. »Schönheit macht Männer unbedacht.«
»Sie sind mir nicht zu nahe getreten. Aber ich glaube, wir sollten jetzt besser losfahren.«
»Wenn es unbedingt sein muss«, sagte der Major und sprang trotzig über die Angst vor einer Blamage hinweg. »Obwohl es genauso schön wäre, Ihnen den ganzen Abend gegenüberzusitzen und Sie anzusehen.«
»Wenn Sie mir weiterhin so überschwengliche Komplimente machen, Major«, sagte Mrs. Ali, schon wieder errötend, »sehe ich mich von meinem Gewissen gezwungen, mich umzukleiden und einen weiten dunklen Pullover und eine Strickmütze oder etwas Ähnliches anzuziehen.«
»In dem Fall sollten wir sofort aufbrechen, damit diese grauenvolle Alternative nur ja keine Chance bekommt.«
Sandy wartete unter dem winzigen Vordach über der Eingangstür des Augerspier-Cottages. Als der Major anhielt, kam sie, einen weiten Wollmantel eng um sich geschlungen, auf dem Gartenweg zur Straße hinunter. Sie setzte sich auf die Rückbank. Im trüben Innenlicht des Wagens wirkte ihr Gesicht noch elfenbeinweißer als sonst und der blutrote Lippenstift grell. Sie hatte ihr glänzendes Haar mit viel Spray in dicht aneinanderliegende Wellen gelegt und mit einem schmalen, unter dem einem Ohr zu einer Schleife verknüpften Band abgerundet. Unter dem hochgeschlagenen Kragen ihres dicken Mantels lugte eine Rüsche aus silberfarbenem Chiffon hervor. Sie erinnerte den Major an eine Porzellanpuppe.
»Tut mir echt leid, dass Sie meinetwegen so einen Umweg machen mussten. Ich habe Roger gesagt, dass ich mir ein Taxi nehme.«
»Keine Ursache!«, entgegnete der Major, den Rogers Bitte extrem verärgert hatte. »Völlig ausgeschlossen, Sie dort ohne Begleitung eintreffen zu lassen.« Sein Sohn hatte behauptet, er müsse wegen der Generalprobe früher aufbrechen. Angeblich hielt es Gertrude für unerlässlich, dass er den Freunden der Kellnerinnen Anweisungen erteilte –
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