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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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bin nicht hierhergekommen, um über Mrs. Ali zu sprechen. Sie hat ihre Entscheidung getroffen, und für mich wird es höchste Zeit, etwas Neues zu beginnen und meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Komm doch bitte, liebe Grace, komm und setz dich her zu mir.« Er klopfte leicht auf den Sessel neben seinem, und sie kam zu ihm herüber und setzte sich.
    »Ich möchte, dass du glücklich bist, Ernest«, sagte sie. »Das hat jeder Mensch verdient.«
    Er nahm ihre Hand und tätschelte sie. »Du bist sehr gut zu mir, Grace. Du bist intelligent, attraktiv und hilfsbereit. Außerdem bist du sehr gütig und keine Klatschbase. Jeder Mann, der auch nur einen Funken Verstand hat, wäre glücklich, dich die Seine zu nennen.«
    Sie lachte, aber in ihren Augen sammelten sich Tränen. »Ach, Ernest, du hast gerade die perfekten Eigenschaften einer Nachbarin aufgezählt und gleichzeitig die schlimmstmöglichen Voraussetzungen für eine leidenschaftliche Beziehung.« Einen Augenblick lang schockierte ihn das Wort »leidenschaftlich«, weil es gleich gegen mehrere Gesprächskonventionen auf einmal verstieß. Er spürte, dass er rot wurde.
    »Du und ich, wir sind inzwischen vielleicht einfach zu – zu reif für die ungestümeren Eigenschaften«, sagte er, krampfhaft das Wort »alt« vermeidend.
    »Ich für mich kann das nicht behaupten, Ernest«, entgegnete sie sanft. »Ich weigere mich, die verdorrte Rose zu spielen und einzusehen, dass man immer nur bescheiden und vernünftig leben muss.«
    »In unserem Alter gibt es doch bestimmt Besseres, auf das sich bauen lässt – auf das sich eine Ehe bauen lässt – als das Strohfeuer der Leidenschaft …« Grace zögerte, und beide spürten das gewichtige Wort zwischen sich stehen. Eine einzelne Träne rollte an Graces Wange hinunter, und der Major bemerkte, dass sie auch an diesem Tag keinen Puder benutzte und sogar in dem ziemlich grell beleuchteten Zimmer wunderschön aussah.
    »Da irrst du dich, Ernest«, sagte sie schließlich. »Das Einzige, was zählt, ist der Funke der Leidenschaft. Ohne ihn können zwei Menschen, die zusammenleben, einsamer sein, als wenn sie ganz allein wären.« In ihrer Stimme schwang eine sanfte Endgültigkeit mit – als würde er bereits den Mantel anziehen und sie verlassen.
    Irgendein Widerspruchsgeist – vielleicht sein eigener Stolz, dachte er – machte ihn trotzig, obwohl er wusste, dass sie recht hatte.
    »Ich bin heute hierhergekommen, um dir meine Gefährtenschaft anzubieten. Ich hatte gehofft, dass es zu mehr führen würde.« Das Wort »Ehe« konnte er ehrlicherweise nicht noch einmal in den Mund nehmen, denn seine Planungen hatten eine ganz allmähliche Steigerung der Intimität vorgesehen und umfassten keine unwiderruflichen Erklärungen.
    »Das möchte ich nicht, Ernest«, sagte sie. »Ich habe dich sehr gern, aber ich möchte meine letzten Jahre nicht in einem Kompromiss verleben.« Sie wischte sich wie ein Kind mit dem Handrücken über die Augen und lächelte. »Du solltest wirklich zu ihr fahren.«
    »Sie will mich ja auch nicht«, erwiderte er, und seine Trübseligkeit verriet die ganze Wahrheit dessen, was Grace gesagt hatte. Er sah sie erschrocken an, aber sie wirkte nicht verärgert.
    »Das erfährst du erst, wenn du sie fragst«, sagte Grace. »Ich gebe dir jetzt ihre Adresse.«
     
    Grace schlang die Arme um ihren Oberkörper und sah zu, wie er im Flur versuchte, seinen Mantel anzuziehen, ohne mit dem Ellbogen gegen einen der zahlreichen an der Wand hängenden Drucke zu stoßen. Ein schwarz gerahmtes Schaf auf einer Klippe bekam einen heftigen Schubser ab, und Grace sprang hinzu und hielt das Bild fest. Als sie so nah bei ihm stand, überwältigte ihn die Scham wegen seines schäbigen Verhaltens, und er legte seine Hand auf ihren Arm. Einen Moment lang hing alles, was sie gesagt hatten, in der Schwebe; er brauchte nur ihren Arm zu drücken, dann würde sie alle Entschlossenheit verlieren und ihn doch nehmen. Wie schrecklich zerbrechlich die Liebe doch ist, dachte er, weil sie darin besteht, dass in diesen Lücken zwischen den Phasen des rationalen Verhaltens Pläne gemacht und verworfen und wieder neu gemacht werden. Grace trat einen Schritt von ihm zurück und sagte: »Vorsicht auf der Stufe, es ist sehr glatt.« Ihm lag eine witzige Bemerkung auf der Zunge, sie dürfe ihm gern eine Ohrfeige geben oder etwas in der Art, aber er besann sich eines Besseren.
    »Du bist eine bemerkenswerte Frau, Grace«, sagte er. Dann zog er

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