Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
Roger. »Was hast du eigentlich vor, so früh am Tag?«
Der Major erklärte ihm so vage wie möglich, dass er am Donnerstag früher losfahren werde, weil er auf dem Weg nach Schottland eine Bekannte besuchen wolle, und dass Roger deshalb bei Tagesanbruch aufstehen müsse.
»Kein Problem«, sagte Roger.
»In Anbetracht der Mühe, die es mich gekostet hat, dich um elf Uhr vormittags aus dem Bett zu scheuchen, hätte ich diesbezüglich gern ein bisschen mehr Sicherheit.«
»Es ist deshalb kein Problem, weil ich nicht mit dir nach Schottland fahren werde«, erklärte Roger. »Gertrude wurde gebeten, schon früher zu kommen, und will, dass ich sie begleite.«
»Du fährst mit Gertrude?«
»Es wird dich freuen zu hören, dass ich für diese Autofahrt ein ganzes Picknick bestellt habe«, sagte Roger. »Dann zaubere ich meinen Picknickkorb mit Fleischpastetchen und Entenconfit auf frischen Brötchen mit Sauerkirsch-Chutney hervor und besiegle das Geschäft mit einem Piccolofläschchen Champagner.« Er rieb sich vor lauter Vorfreude die Hände. »Wenn man Liebesdinge vorantreiben will, gibt es doch nichts Besseres als eine schöne lange Autofahrt.«
»Aber du hast doch gefragt, ob du bei mir mitfahren kannst«, wandte der Major ein. »Ich habe mit zwei Fahrern gerechnet, damit wir keine Pausen einlegen müssen.«
»Du hast doch noch nie Pausen eingelegt«, entgegnete Roger. »Ich erinnere mich noch an diese Fahrt nach Cornwall, als ich acht war. Erst in Stonehenge hast du angehalten, damit ich aufs Klo gehen konnte. Die schmerzhafte Blasenentzündung, die ich deshalb bekam, war ein Heidenspaß!«
»Du bauschst im Nachhinein immer alles so auf«, sagte der Major. »Mit dem Antibiotikum ging es dir sehr schnell wieder besser. Und außerdem haben wir dir damals ein Kaninchen gekauft.«
»Danke, aber ich entscheide mich lieber für Gertrude und einen Entenschenkel und sorge dafür, dass ich keine Nierensteine kriege.«
»Findest du es nicht unverantwortlich früh, gleich wieder einer Frau hinterherzujagen?«, fragte der Major. »Sandy ist doch gerade erst gegangen.«
»Sie hat ihre Entscheidung getroffen«, erwiderte Roger. Betrübt lächelnd erkannte der Major, dass die Worte seines Sohns vertraut klangen. »Den Marktwert neu berechnen und dann auf zu neuen Ufern, wie wir nach einem schlechten Deal zu sagen pflegen.«
»Manchmal ist es ein Fehler, eine Frau gehen zu lassen, mein Junge. Manchen sollte man hinterherlaufen.«
»Nicht in diesem Fall, Dad.« Roger sah seinen Vater zögerlich an und ließ dann den Kopf hängen, und der Major verstand, dass sein Sohn ihn nicht für einen Menschen hielt, der sich gern peinliche Geständnisse anhörte.
»Ich wüsste gern, was passiert ist«, sagte er und wandte sich wieder dem Spülbecken zu. Roger hatte schon immer leichter mit sich reden lassen, wenn sie im Auto saßen oder irgendetwas anderes machten, wozu kein Blickkontakt nötig war. »Sie ist mir nach und nach irgendwie ans Herz gewachsen.«
»Ich habe alles versaut und hab’s nicht mal gemerkt. Ich dachte, wir wären uns über alles einig. Wie hätte ich denn wissen sollen, was sie will, wenn sie es selbst erst wusste, als es bereits zu spät war?«
»Und was wollte sie?«
»Ich glaube, sie wollte heiraten, aber sie hat es nicht gesagt«, antwortete Roger, seinen Toast kauend.
»Und jetzt ist es zu spät?«
Als Roger erneut das Wort ergriff, war sein übliches Maulheldentum einem ernsten Ton gewichen. »Es gab da einen kleinen ›Unfall‹. Keine große Sache. Wir waren uns einig, wie wir damit umgehen.« Er blickte den Major wieder an. »Ich war mit ihr in der Klinik und so. Ich habe alles getan, was man tun soll.«
»In einer Klinik?« Der Major brachte es nicht über sich, die Frage deutlicher zu formulieren.
»In einer Frauenklinik. Mach nicht so ein Gesicht! So was ist heutzutage absolut zulässig – das Recht der Frau, selbst zu entscheiden und so weiter. Und sie wollte es so.« Er schwieg einige Sekunden lang. »Also, wir haben darüber gesprochen, und sie war einverstanden. Ich habe ihr gesagt, dass es in diesem Stadium unserer beruflichen Karriere einfach das Verantwortungsvollste ist.«
»Wann war das?«, wollte der Major wissen.
»Kurz vor dem Ball haben wir es erfahren und uns dann um die Sache gekümmert, bevor wir hierherkamen, um Weihnachten zu feiern. Und sie hatte mir einfach nie gesagt, dass sie es nicht machen lassen will – als hätte ich das durch irgendwelche übernatürlichen
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