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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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Fähigkeiten erkennen können! Als wäre ich eine Art übersinnlicher Sherlock Holmes!«
    »Ich glaube, du bringst da zwei verschiedene Dinge durcheinander«, sagte der Major, den Rogers Metaphern verwirrten.
    »Ich war überhaupt nicht durcheinander«, erklärte Roger. »Ich habe einen Plan gemacht und bin dabei geblieben, und alles schien bestens.«
    »Dachtest du.«
    »Sie hat nie ein Wort gesagt. Vielleicht war sie manchmal ein bisschen still, aber wie hätte ich denn ihre Gedanken lesen sollen?«
    »Du bist nicht der erste Mann, der die etwas subtilere Kommunikation einer Frau nicht wahrnimmt«, sagte der Major. »Die Frauen denken, sie winken, aber wir sehen nur das spiegelglatte Meer, und ziemlich bald darauf sind alle ertrunken.«
    »Genau. Ich habe sie sogar gebeten, mich zu heiraten. Am vierundzwanzigsten, vor der Party bei Dagenham. Ich hatte ein schlechtes Gewissen wegen der Sache und war durchaus bereit, unsere Pläne in die Realität umzusetzen.« Er versuchte, lässig zu klingen, aber seine sich überschlagende Stimme verriet ihn, und plötzlich überwältigten den Major die Gefühle, und er musste sich die Hände abtrocknen. »Ich habe ihr sogar gesagt, wir könnten es nächstes Jahr noch mal probieren, falls durch diesen Deal mit Ferguson eine Beförderung für mich herausspringen sollte.« Er seufzte, und sein Blick bekam etwas Verträumtes, das möglicherweise von einer Gefühlsregung herrührte. »Als Erstes vielleicht einen Jungen, obwohl man so was natürlich nicht steuern kann. Einen kleinen Toby, und dann ein Mädchen – Laura würde mir gefallen, oder Bodwin. Und ich habe ihr gesagt, dass wir aus dem kleinen Schlafzimmer hier das Kinderzimmer machen könnten und dann vielleicht noch ein Spielzimmer anbauen, so eine Art Wintergarten.« Er sah den Major bestürzt an. »Da hat sie mir eine runtergehauen.«
    »Mein Gott, Roger«, rief der Major. »Bitte sag, dass du ihr das alles nicht gesagt hast!«
    »Ich bitte sie, mich zu heiraten, und sie reagiert, als ob ich sie gebeten hätte, Menschenfleisch zu essen oder so. Ich lege alle meine Pläne und Hoffnungen offen, und sie schreit mich an, ich wäre so seicht, dass nicht einmal ein Goldfisch in mir überleben könnte. Ich meine, was soll das denn?«
    Der Major wünschte, er hätte das alles gewusst, als er Sandy an jenem Abend in dem dunklen Haus antraf. Er wünschte, er hätte beim Ball etwas gesagt, nachdem Mrs. Ali bemerkt hatte, wie bekümmert sie aussah. Vielleicht hätten sie damals etwas tun können. Er fragte sich, ob es seine Schuld war, dass Roger das Einfühlungsvermögen eines Betonklotzes besaß.
    »Dein Timing war nicht gerade sehr sensibel, Roger«, sagte er leise. Er spürte, wie sich sein Herz vor Kummer über den Sohn langsam zusammenzog, und überlegte, wann und wo es ihm misslungen war, diesem Jungen Mitgefühl zu lehren, oder ob er schlicht vergessen hatte, es ihm beizubringen.
    »Egal – wer braucht schon solche Dramen«, sagte Roger. »Ich hatte viel Zeit zum Nachdenken und spiele jetzt ernsthaft mit dem Gedanken, es mit Gertrude zu versuchen.« Er sah schon wieder fröhlicher drein. »Aus so einem alten Adelsnamen lässt sich auch heutzutage noch einiges herausholen, und sie hat mich immer schon angehimmelt. Wenn die Konditionen stimmen, wäre ich bereit, sie sehr glücklich zu machen.«
    »Über Liebe kann man doch nicht verhandeln wie bei einer Geschäftsabwicklung«, entgegnete der Major entsetzt.
    »Stimmt«, sagte Roger. Er wirkte jetzt wieder vollauf zufrieden und durchwühlte die Tasche nach einem Apfel. »Die Liebe ist wie ein dicker fetter Bonus, den man sich erhofft, wenn man alle Bedingungen ausgehandelt hat.«
    »In deiner Seele findet sich kein Hauch von Poesie, Roger«, sagte der Major.
    »Wie wär’s denn mit ›Feuer ist heiß, / Feuer macht Rauch, / Sandy ist weg, / Gertrude tut’s auch‹?«
    »Das ist einfach unmöglich, Roger!«, entgegnete der Major. »Wenn du nicht den kleinsten Funken echter Leidenschaft für Gertrude empfindest, dürft ihr euch nicht aneinander binden. Sonst verdammst du euch beide zu einem Leben in Einsamkeit.« Gequält lächelnd hörte er sich Graces Worte als seine eigenen ausgeben. Da erteilte er mit Hilfe dieser Worte einen Rat, obwohl sie ihm selbst erst kurz zuvor die Augen geöffnet hatten. So, dachte er, stehlen die Menschen wie Elstern die funkelnden Einfälle anderer und schmücken sich damit.
     
    Bevor sich der Major auf den Heimweg machte, fragte Roger ihn

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