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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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dem ganzen Tamtam, das du mit den Churchill-Flinten veranstaltet hast, weiß ich wirklich nicht, wie du dazu kommst, einer völlig Fremden einfach alles zu überlassen.«
    »Ach so, es ist also weniger eine Frage der Loyalität als vielmehr eine Frage des väterlichen Erbes«, sagte der Major.
    »Es geht doch nicht um Geld«, entgegnete Roger entrüstet. »Es geht ums Prinzip.«
    »Diese Dinge sind immer heikel, Roger«, sagte der Major. »Und da wir gerade von deiner Mutter sprachen – du warst dabei, als sie mich bat, nicht allein zu bleiben, wenn ich jemanden finde, der mir viel bedeutet.«
    »Sie lag im Sterben. Sie hat dich angefleht, wieder zu heiraten, und du hast geschworen, es nicht zu tun. Ich war damals, ehrlich gesagt, ziemlich wütend, weil so viel wertvolle Zeit mit letzten Versprechungen verschwendet wurde, die, wie ihr beide gewusst habt, unhaltbar waren.«
    »Deine Mutter war eine sehr selbstlose Frau«, wandte der Major ein. »Sie meinte das, was sie sagte.« Beide schwiegen, und der Major fragte sich, ob auch Roger wieder den Karbolgeruch und den Duft der Rosen auf dem Nachttisch wahrnahm und das grünliche Licht des Krankenhauszimmers sah und Nancys Gesicht, so schmal und schön wie das einer Heiligen auf einem mittelalterlichen Gemälde, deren Augen das Einzige waren, aus dem noch Leben sprach. Er hatte, wie sie selbst auch, in diesen letzten Stunden nach Worten ohne all dieses Plattitüdenhafte gerungen. Aber es hatte ihm damals die Sprache verschlagen. Im grauenhaften Angesicht des Todes, als dieser bereits so nah und doch so undenkbar schien, war er stumm geblieben, als wäre sein Mund mit Stroh gefüllt gewesen. Die Gedichte und Zitate, mit denen er andere in diesen sinnlosen Beileidsschreiben und hin und wieder in einer Trauerrede zu trösten versucht hatte, erschienen ihm jetzt hohl und nur der eigenen Eitelkeit dienlich. Er konnte nichts weiter tun, als die zerbrechliche Hand seiner Frau zu drücken, während ihm Dylan Thomas’ nutzloses Flehen »Geh du nicht sanft in diese gute Nacht …« wie ein Trommelschlag durch den Kopf dröhnte.
    »Alles in Ordnung, Dad? Ich wollte dich nicht verletzen«, sagte Roger. Blinzelnd kehrte der Major in die Realität zurück. Er hob den Blick und stützte sich mit einer Hand auf die Rückenlehne von Rogers Couch.
    »Deine Mutter ist tot, Roger«, sagte er. »Dein Onkel Bertie ist tot. Ich glaube nicht, dass ich noch mehr Zeit vergeuden sollte.«
    »Vielleicht hast du recht, Dad.« Roger dachte offenbar kurz nach, was der Major ungewöhnlich fand, ging dann um die Couch herum und hielt ihm die Hand hin. »Hör mal, ich wünsche dir viel Glück mit deiner Freundin. So, und wie wär’s, wenn du mir jetzt viel Glück bei Fergusons Jagd wünschen würdest? Du weißt doch, wie sehr mir an diesem Enklave-Deal liegt.«
    »Ich weiß diese Geste zu schätzen«, sagte der Major und schüttelte Rogers Hand. »Sie bedeutet mir sehr viel. Und ich wünsche dir wahrlich alles Gute, mein Sohn. Ich werde dich dort oben unterstützen, so gut ich kann.«
    »Ich hatte gehofft, dass du das sagen würdest«, gestand Roger. »Und weil ich schon so früh hinfahre, besteht sogar die Möglichkeit, dass ich auf Federwildjagd gehen kann, sagt Gertrude. Und da wollte ich dich fragen, ob ich deine beiden Churchills mitnehmen dürfte.«
     
    Als der Major von Rogers Cottage wegfuhr, nachdem er seinem hocherfreuten Sohn die Kiste mit den Gewehren dagelassen hatte, überkam ihn das ungute Gefühl, einmal mehr manipuliert worden zu sein. Vor seinem geistigen Auge zogen wie in einer Endlosschleife Bilder vorbei. Roger, im nebligen Morgengrauen auf Entenjagd in ein Boot geduckt. Roger, der sich vorsichtig erhebt und auf einen aufstreichenden Wildentenschwarm feuert. Roger, wie er rückwärts über die Metallbank stürzt und in das Speigatt fällt. Roger, wie er eine der beiden Churchills fast ohne einen Spritzer in die bodenlosen Wasser des Sees sinken lässt.

[home]
    Einundzwanzigstes Kapitel
    H ätten Don Quixote oder Sir Galahad den Minnedienst auch dann noch mit solch ritterlichem Eifer geleistet, fragte sich der Major, wenn sie in dichtem, stockendem Verkehr eine endlose Landschaft aus Leitkegeln, abgasspeienden Lastwagen und sterilen Autobahnraststätten hätten durchqueren müssen? Er dachte an ihr leuchtendes Beispiel, während er sich auf der M 25 voranquälte, und sagte sich, dass der hässliche Betongürtel der Londoner Ringautobahn wenigstens den schwellenden Vorstadtbrei

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