Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
plötzlich: »Wohin zischst du jetzt eigentlich ab? Wer ist denn diese Bekannte, die du besuchen willst?«
»Ach, nur jemand, der in den Norden gezogen ist. Grace wollte, dass ich mal nach ihr sehe.«
»Also wieder diese Frau.« Rogers Augen wurden schmal. »Die mit dem fanatischen Neffen.«
»Sie heißt Jasmina Ali«, erwiderte der Major. »Ich bitte dich, wenigstens den Respekt zu haben, dich an ihren Namen zu erinnern.«
»Was soll das, Dad?«, fragte Roger. »War dir das Golfclub-Debakel noch nicht Warnung genug? Die Frau ist eine ganz, ganz schlechte Idee.«
»Schimpansen, die Gedichte schreiben, sind eine schlechte Idee«, entgegnete der Major. »Und von dir Ratschläge in Liebesdingen entgegenzunehmen ist ebenfalls eine sehr, sehr schlechte, wenn nicht sogar grauenerregende Idee. Auf eine Stunde bei einer alten Freundin vorbeizuschauen ist dagegen eine gute Idee und geht dich obendrein nicht das Geringste an!«
»Alte Freundin – dass ich nicht lache!«, sagte Roger. »Ich habe doch gesehen, wie du sie bei dem Ball angeschaut hast. Jeder hat mitgekriegt, dass du kurz davor warst, dich zum Narren zu machen.«
»Und selbstverständlich hat das ›jeder‹ missbilligt. Und zweifelsohne deshalb, weil sie eine andere Hautfarbe hat.«
»Überhaupt nicht«, widersprach Roger. »Der Clubsekretär hat mir vertraulich mitgeteilt, dass es nicht im Entferntesten mit der Hautfarbe zu tun hat, sondern allein damit, dass der Club derzeit keine Mitglieder aufnimmt, die im kaufmännischen Sektor tätig sind.«
»Der Club und seine Mitglieder sollen sich zum Teufel scheren!«, fauchte der Major. »Ich freue mich schon darauf, da rausgeworfen zu werden.«
»O Gott, du bist in sie verliebt.«
In einer ersten spontanen Regung wollte er es weiter leugnen. Während er noch nach einer diplomatischen Antwort suchte, mit der er seine Absicht ausdrücken konnte, ohne sich lächerlich zu machen, sagte Roger: »Was um alles in der Welt soll dir das bringen?«
Da packte den Major eine Wut, wie er sie seinem Sohn gegenüber noch nie empfunden hatte, und zwang ihn zur Ehrlichkeit. »Im Gegensatz zu dir, der du jede menschliche Begegnung einer Kosten-Nutzen-Analyse unterziehst, habe ich nicht die geringste Ahnung, was mir das bringen wird. Ich weiß nur, dass ich sie sehen will. Genau darum geht es in der Liebe, Roger. Darum, dass einem eine Frau jeden klaren Gedanken aus dem Kopf treibt, darum, dass man unfähig ist, zu irgendwelchen Liebesstrategien zu greifen, und darum, dass die üblichen Manipulationen versagen. Liebe, das ist, wenn alle sorgsam ausgetüftelten Pläne sinnlos werden und man in ihrer Anwesenheit nur noch schweigen kann. Dann hoffst du, sie möge sich deiner erbarmen und ein paar freundliche Worte in deinen leeren Kopf hineinsprechen.«
»Dass du mal um Worte verlegen bist, werden wir auch nicht mehr erleben«, sagte Roger und verdrehte die Augen.
»Deine Mutter hat mich bei unserer ersten Begegnung sprachlos gemacht. Hat mir meine schlagfertige Antwort einfach aus dem Mund genommen, und ich stand da mit offenem Maul wie ein Trottel.«
Der Major dachte zurück an ihr dünnes blaues Kleid vor dem sattgrünen Sommerrasen und an ihr Haar, auf dem das Licht der Abendsonne lag. In einer Hand hielt sie ihre Sandalen, in der anderen einen kleinen Becher Punsch, und sie verzog den Mund, nachdem sie an dem klebrig-süßen Zeug genippt hatte. Er war so sehr damit beschäftigt, sie zu betrachten, dass er sich mitten in einer komplizierten Anekdote verhedderte und rot wurde, als seine Freunde, die auf die Pointe gewartet hatten, in schallendes Hohngelächter ausbrachen. Sie hatte sich zu ihnen gesellt und ihn unverblümt gefragt: »Gibt es hier eigentlich noch etwas anderes zu trinken als dieses Zuckerwattegesöff?« In seinen Ohren hatte es wie ein Gedicht geklungen, und er hatte sie in die Speisekammer der Gastgeber geführt und einen Scotch aufgestöbert und sie das Gespräch ganz allein bestreiten lassen, während er versuchte, nicht auf ihr Kleid zu starren, das ihre Brüste sanft umhüllte wie der endlos herabfallende Schleier einer aus Marmor gemeißelten Waldnymphe.
»Was würde Mutter dazu sagen, wenn sie wüsste, dass du irgend so einem Ladenmädchen durch ganz England nachläufst?«
»Wenn du sie noch ein Mal ein Ladenmädchen nennst, kassierst du eine Ohrfeige.«
»Aber was ist, wenn du sie heiratest und sie dich überlebt?«, fragte Roger. »Was ist, wenn sie das Haus nicht aufgibt und … Also, nach
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