Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
finanziell zugrunde zu richten, aber meine Frau sagt, die zwei wollen unter den gegebenen Umständen kein großes Trara machen. Es findet also sowieso kaum etwas statt außer einem symbolischen Austausch von Geschenken, und kein bisschen mehr, als angemessen ist.« Er legte eine Pause ein und sah den Major mit wichtigtuerisch hochgezogener Braue an. »Und außerdem glauben wir, dass es für unsere Jasmina wichtig ist, einen dicken Strich unter die Vergangenheit zu ziehen, wenn sie in Zukunft glücklich sein will.«
»Einen dicken Strich?«, fragte der Major.
Dave Ali seufzte und schüttelte auf eine Art, die Mitleid signalisieren sollte, den Kopf.
»Sie hat darauf beharrt, eine schwere Bürde auf sich zu nehmen, als mein Bruder starb«, sagte er nachdenklich. »Eine Bürde, die keine Frau der Welt tragen sollte. Und jetzt wollen wir einfach, dass sie diese Verantwortung abgibt und glücklich ist, hier, im Herzen der Familie, wo wir uns um sie kümmern können.«
»Das ist sehr großzügig von Ihnen.«
»Allerdings lassen sich alte Gewohnheiten schwer ablegen«, erklärte Dave. »Ich selbst freue mich schon heute auf den Tag, an dem ich unseren Betrieb an Abdul Wahid übergeben und mich in den Ruhestand verabschieden kann – aber auch ich werde mich bestimmt noch lange einmischen und mich schwer damit tun, anderen die Entscheidungen zu überlassen.«
»Sie ist eine überaus tüchtige Frau«, sagte der Major.
»Wir hoffen, dass sie mit der Zeit lernt, hier zu Hause zufrieden zu sein. Sie hat sich schon jetzt für meine Mutter unentbehrlich gemacht und liest ihr jeden Tag aus dem Koran vor. Ich habe mich geweigert, sie in einem unserer Läden einzusetzen. Ich habe ihr gesagt, dass für sie jetzt die Zeit gekommen ist, sich zurückzulehnen und andere für sich sorgen zu lassen. Zu Hause ist es viel besser, habe ich ihr gesagt. Da muss man keine Steuern zahlen, keine Rechnungen begleichen, keine Bilanzen erstellen, und niemand erwartet, dass man auf alles eine Antwort hat.«
»Aber sie ist an eine gewisse Unabhängigkeit gewöhnt«, wandte der Major ein.
Dave zuckte mit den Achseln. »Sie ändert sich. Sie hat schon aufgehört, meine arme Frau von einem neuen Inventursystem überzeugen zu wollen. Dafür ist sie jetzt von der Idee besessen, sich einen eigenen Bibliotheksausweis anzuschaffen.«
»Einen Bibliotheksausweis?«
»Ich persönlich frage mich ja: Wer hat schon Zeit zum Lesen? Aber wenn sie einen will, soll sie ihn sich besorgen. Wir haben im Moment sehr viel zu tun – die Hochzeit und die Eröffnung unseres SuperCenters nächsten Monat –, aber meine Frau hat ihr versprochen, dass sie ihr mit dem Aufenthaltsnachweis hilft, und dann kann sie zu Hause herumsitzen und den ganzen Tag lesen.«
Das Gespräch wurde von aufkommender Unruhe in der Diele gestört. Der Major verstand zwar nicht, was dort gesprochen wurde, hörte aber plötzlich eine vertraute Stimme rufen: »Das ist doch lächerlich! Wenn ich hinein will, gehe ich hinein!« Dann wurde die Tür geöffnet, und Mrs. Ali stand da, noch in Mantel und Kopftuch, eine kleine Einkaufstasche mit Lebensmitteln in der Hand. Ihre Wangen waren gerötet – ob nun wegen der Auseinandersetzung oder weil sie im Freien gewesen war –, und sie sah ihn an, als gierte sie danach, ihn mit einem einzigen Blick ganz zu erfassen. Die junge schwangere Frau flüsterte ihr von hinten etwas zu. Mrs. Ali zuckte zusammen.
»Schon gut, Sheena, sie kann reinkommen«, sagte Dave, stand auf und schickte seine Tochter mit einer Handbewegung weg. »Es kann ja nicht schaden, einen alten Freund deines verstorbenen Onkels Ahmed zu begrüßen.«
»Sie sind es«, sagte Mrs. Ali. »Ich habe in der Diele einen Hut gesehen und sofort gewusst, dass es Ihrer ist.«
»Wir wussten nicht, dass du von deinen Einkäufen zurück bist«, sagte Dave. »Der Major schaut nur kurz auf dem Weg nach Schottland bei uns vorbei.«
»Ich musste Sie einfach sehen«, erklärte der Major. Er hätte so gern ihre Hand genommen, aber er hielt sich zurück.
»Ich habe dem Major gerade erzählt, wie gern du liest«, sagte Dave. »Mein Bruder hat mir immer erzählt, Major, dass Jasmina ständig in ein Buch vertieft war. ›Macht doch nichts, dass ich ein bisschen mehr tun muss, damit sie lesen kann. Sie ist eben eine Intellektuelle‹, sagte er immer.« Bei dem Wort »Intellektuelle« schwang in seiner Stimme ein unverkennbar sarkastischer Unterton mit, und den Major erfasste eine tiefe Abneigung gegen
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