Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
Haargewirr kam sie vorsichtig den steinigen Weg herunter. Er hielt den Atem an, als würde sie schon bei der kleinsten Bewegung zurückweichen.
»Du hättest mich wecken sollen«, sagte sie. »Du bist doch hoffentlich nicht geflüchtet …?«
»Ich musste ein paar Luftsprünge machen. Mir ein bisschen auf die Brust trommeln, einen kleinen Freudentaumel vollführen – Männerkram.«
»Also, das will ich sehen!«, rief sie und lachte, als er ein paar halb vergessene Tanzschritte wagte, auf ein Grasbüschel und wieder hinunter sprang und johlend gegen einen großen Stein trat. Der Stein kullerte zum Ufer hinunter und platschte in den See, während der Major zusammenzuckte und den verletzten Fuß ausschüttelte. »Aua!«, sagte er. »Mehr Urmensch schaffe ich nicht.«
»Darf ich jetzt mal?« Sie drückte ihm in jede Hand eine Tasse, dann drehte sie sich in wilden Pirouetten aufs Seeufer zu, stampfte mit den Füßen ins eiskalte Wasser und stieß einen langen, wohlklingenden Schrei aus, der von der Erde selbst zu kommen schien. Ein Entenschwarm, der sich versteckt hatte, stieg auf, und sie lachte und winkte den über das Wasser fliegenden Vögeln zu. Dann lief sie zurück und küsste den Major, und er breitete die Arme aus und versuchte, das Gleichgewicht zu halten.
»Sachte, sachte«, sagte er, aber schon war ein Teil des heißen Tees auf sein Handgelenk geschwappt. »Leidenschaft ist schön und gut, aber man muss ja nicht gleich den Tee verschütten.« Sie fanden zwei große Felsblöcke, setzten sich, und während sie ihren Tee genossen und die beiden letzten, schon etwas altbackenen Mandelbrötchen verdrückten, lachten sie zwischendurch immer wieder und brachen in kleine Jauchzer und Schreie aus. Er steuerte einen lang anhaltenden Jodler bei, sie revanchierte sich mit ein paar Takten eines bewegenden Liedes aus ihrer Kindheit, und während das Wasser des Sees zu ihren Füßen ans Ufer plätscherte, die Berge ihre Rufe schluckten und der Himmel seinen blauen Fallschirm über ihren Köpfen spannte, dachte der Major, wie wunderschön er es fand, dass das Leben trotz allem viel einfacher war, als er es sich je vorgestellt hatte.
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Dreiundzwanzigstes Kapitel
Z um ersten Mal in seinem Leben erschien ihm die Fahrt zurück nach Edgecombe nicht wie eine Heimkehr. Stattdessen schwand seine Zuversicht, je näher sie kamen, und sein Magen zog sich so sehr zusammen, dass ihm Galle in den Mund stieg.
Er hatte versprochen, Jasmina rechtzeitig zur Hochzeit nach Hause zu bringen, aber statt noch am Abend zuvor aufzubrechen, waren sie früh, im Morgengrauen, aufgestanden. Jetzt steuerte er den Wagen durch die Midlands nach Süden, ohne dem Lockruf Stratford-upon-Avons zu folgen, auch wenn beide den Kopf wandten, als sie die verführerische Ausfahrt passierten. Mit düsterer Miene brachte er das Autobahngewirr rings um die beiden Flughäfen Londons hinter sich, und zum ersten Mal, seit er zurückdenken konnte, empfand er beim Anblick der Schilder, die die Südküste ankündigten, keinerlei Freude.
»Wir kommen gut voran«, sagte sie lächelnd. »Hoffentlich hat Najwa daran gedacht, mir die Kleider zu besorgen.« Sie hatte Mrs. Rasool mit ihrem Handy angerufen und sie gebeten, ihrer Familie auszurichten, dass sie zur Hochzeit kommen werde und passende Kleidung für sie bereitgelegt werden solle. Während des Gesprächs hatte sie einmal leise gelacht, und hinterher erzählte sie ihm, dass Mrs. Rasool extra für das Hochzeitsessen Rasmalai machte, und zwar insgeheim ihm zu Ehren. »Sie regt sich sehr über meine Schwägerin auf, weil die ständig den Speiseplan ändert und die Kosten bis hin zum letzten Zahnstocher genau aufteilen will«, fügte sie hinzu. »Sie ist sehr froh, dass wir ein bisschen Aufruhr in das Fest bringen.«
»Soll ich wirklich mitkommen?«, fragte er. »Es wäre mir sehr unangenehm, wenn sie mich zum Anlass nehmen würden, das Ganze abzublasen.«
»Najwa hat es so geregelt, dass wir zunächst warten und erst dann hineingehen, wenn der Imam da ist. Dann können sie kein Theater mehr machen. Es wird sie zu meiner großen Genugtuung auf die Palme treiben, aber die Verträge werden unterschrieben, Abdul Wahid bekommt den Laden – was wollen sie dann noch groß tun?« Sie starrte schweigend aus dem Fenster.
»Und du bist sicher, dass du auf den Laden verzichten willst?«
»Ahmed wäre bestimmt stolz darauf, dass sein Erbe weitergegeben wird. Er hat mir den Laden aus freien Stücken überlassen, und
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