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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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Jüngling in die Situation hineinzusteigern.« Er zog dem Spiegelbild eine Grimasse und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, das wie ein harter Pinsel abstand und demnächst geschnitten werden musste. Er nahm sich vor, gleich nach der Rückkehr einen Friseurtermin zu vereinbaren. Nachdem er ein letztes Mal tief durchgeatmet hatte, beschloss er, einen Durchmarsch ins Wohnzimmer hinzulegen, unterwegs fröhlich »Gute Nacht« zu sagen und sich keinen Blödsinn mehr zu erlauben.
    Als er, die Lampe in der Hand, in das kleine Schlafzimmer trat, saß Mrs. Ali mit angezogenen Knien und gesenktem Kinn auf dem Bett. Ihr Haar ergoss sich über ihre Schultern, und sie wirkte sehr jung oder vielleicht auch einfach verletzlich. Als sie zu ihm aufsah, glänzten ihre Augen.
    »Ich habe über das ganz normale Leben nachgedacht«, sagte sie. »Darüber, dass alles ungewiss ist, wenn wir wieder in die Welt hinausgehen.«
    »Müssen wir wirklich daran denken?«
    »Und deshalb habe ich mir die Frage gestellt, ob es nicht besser ist, wenn Sie gleich jetzt mit mir schlafen, hier, wo wir diesen ganz besonderen Traum genießen dürfen.« Sie sah ihn unverwandt an, und er hatte nicht das Bedürfnis, den Blick von ihr abzuwenden. Dankbar nahm er wahr, dass sein Körper von Erregung überströmt wurde wie ein flacher Strand von einer Flutwelle, und sah in ihren hochroten Wangen seine Sehnsucht nach ihr gespiegelt. Er verspürte keine Angst mehr, keine Nervosität. Er würde ihre Erklärung nicht mit der Frage herabsetzen, ob sie sich wirklich sicher sei. Er hängte die Lampe an einen Haken in der Balkendecke, kniete sich vor dem Bett auf den Boden, nahm ihre Hände in seine und küsste sie auf beiden Seiten. Als er das Gesicht zu ihr hob und ihr Haar sie beide wie ein dunkler Wasserfall umhüllte, fand er jedes Wort plötzlich vollkommen unwichtig, und so sagte er nichts.
     
    Frühmorgens stand er, einen Fuß auf einem glatten Granitbrocken, am menschenleeren See und sah zu, wie das Sonnenlicht auf dem bereiften Schilf glitzerte und die Eisborte entlang des schlammigen Ufers zum Schmelzen brachte. Es war bitterkalt, aber er empfand die schmerzende Luft in seiner Nase als etwas Köstliches und hob das Gesicht zum Himmel, um die wärmende Sonne zu genießen. Die Berge hinter dem See trugen Schneehauben auf ihren wuchtigen Felsschultern, und Mount Snowdon durchstach mit seinen spitzen weißen Kämmen den blauen Himmel. Ein einsamer Vogel, ein Falke oder Adler, mit gespreizten Federn am Ende der stolzen Schwingen glitt hoch oben auf einem Hauch von Aufwind dahin und überblickte sein Reich. Der Major hob die Arme in die Luft, streckte die Fingerspitzen in die Höhe und fragte sich, während er sich mit beiden Füßen fest gegen die Erde stemmte, ob das Herz des Vogels wohl so erfüllt war wie seines. Er dachte darüber nach, ob sich so der erste Mensch gefühlt haben mochte; allerdings hatte er sich den Garten Eden immer als hochsommerlich warm vorgestellt, als einen von Wespengesumm erfüllten Obstgarten voller Pfirsiche. Heute fühlte er sich eher wie ein Pionier, der allein inmitten der rauhen Schönheit eines fremden neuen Landes stand. Er fühlte sich unbeugsam, kraftvoll. Er freute sich über den Muskelkater und über die zarte Mattigkeit, wie man sie nach einer Anstrengung spürt. Nur ein wohliges Gefühl tief im Bauch war geblieben von der vergangenen Nacht, in der, so empfand er es, die Jahre von ihm abgefallen waren.
    Er blickte die kleine Anhöhe hinauf zur Hütte, die unter eisbedeckten Traufen schlief. Aus dem Kamin kringelte sich träge der Rauch. Sie hatte noch geschlafen, als er ging, ausgestreckt auf dem Bauch, mit wirrem Haar, die Arme achtlos um das Kissen geschlungen. Zu wach, um im Bett zu bleiben, hatte er sich so leise wie möglich angezogen, hatte das Feuer versorgt und einen Kessel Wasser auf kleiner Flamme aufgesetzt, damit es während seines Spaziergangs langsam zum Kochen kam. Er hätte die zurückliegende Nacht gern für sich geklärt, seine Gefühle in eine sachliche Ordnung gebracht, aber offenbar war er an diesem Morgen zu nichts in der Lage, als vor sich hin zu grinsen und zu kichern und der leeren Welt in tumber Glückseligkeit zuzuwinken.
    Noch während er hinaufschaute, wurde die Terrassentür geöffnet, und Jasmina trat aus dem Haus und blinzelte ins helle Licht. Sie hatte sich angezogen und seine Decke um die Schultern gelegt. In jeder Hand trug sie eine dampfende Teetasse. Mit einem Lächeln unter dem

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