Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
einbandagiert war. Mit ihm kam Aminas Tante Noreen heraus. Sie trug einen weiß-goldenen, am Ausschnitt mit Schmucksteinen bestickten Shalwar Kamiz, auf dem ein großer Blutfleck und die verschmierten blutigen Abdrücke einer Kinderhand zu sehen waren. Als George Jasmina erblickte, heulte er auf.
»Tante Jasmina!«
»Daran ist ihre Familie schuld!«, sagte Noreen, auf Jasmina deutend. »Das sind alles Kriminelle und Mörder!«
»Ist das die Dame, die dich und deine Mutter verletzt hat?«, fragte der Polizist, der Jasmina festhielt. George schüttelte den Kopf und streckte die Arme nach Jasmina aus. Der Polizist ließ sie los. Jasmina ging auf George zu, aber Noreen versuchte, sie zurückzuhalten.
»Er muss ins Krankenhaus, meine Damen«, sagte der Sergeant.
»Was ist denn passiert?«, fragte Jasmina. »Ich muss das jetzt wissen!«
»Als ob Sie das nicht längst wüssten«, antwortete Noreen. »Sie haben uns alle betrogen mit Ihren Plänen und Lügen!«
»Bisher haben wir aus dem Jungen nur herausgekriegt, dass eine ältere Dame mit einer Art Stricknadel auf seine Mutter eingestochen hat, Ma’am«, erklärte der jüngere Polizist. »Daraufhin hat sich die Tante mit einem Mann, wahrscheinlich dem Vater des Jungen, aus dem Staub gemacht. Niemand weiß, wohin.«
Aus dem Laden kamen zwei Sanitäter mit einer Krankentrage. Darauf lag Amina, in ein Laken gehüllt, mit einer Infusionsnadel im Arm und einer Sauerstoffmaske auf dem Gesicht.
Als sie Jasmina und den Major sah, gab sie einen schwachen Laut von sich und versuchte, die Hand zu heben.
»Mummy!«, rief George. Noreen und der Sergeant konnten ihn nur mit Mühe zurückhalten.
»Die Männer müssen deiner Mummy jetzt helfen«, sagte Noreen.
Der Major trat an die Krankentrage und nahm Aminas Hand.
»Wie geht es ihr?«, fragte er einen stämmigen Sanitäter, von dem er annahm, dass er das Sagen hatte.
»Das Herz wurde offenbar nicht getroffen, sonst wäre sie jetzt tot, aber sie hat wahrscheinlich innere Blutungen. Schwer zu sagen bei einer so kleinen Eintrittswunde.«
»Wo ist George?«, flüsterte Amina. »Geht es ihm gut?«
»Er ist hier bei Ihrer Tante Noreen und bei Jasmina«, sagte der Major.
»Sie müssen Abdul Wahid finden, bitte!«, sagte Amina. »Er glaubt, er wäre schuld.«
»Sie muss jetzt ins Krankenhaus, Sir.« Der Sergeant zog seine Brauen mitfühlend zusammen.
»Ich fahre mit«, sagte Jasmina. »Er ist mein Großneffe.«
»Kommt nicht in Frage«, entgegnete Noreen. »Sie halten sich von uns fern und werden für Ihre Verbrechen büßen.«
»Ich bin nicht schuld, und Abdul Wahid auch nicht. Das ist doch nicht Ihr Ernst!«
»Wissen Sie, wohin Ihr Neffe gegangen sein könnte, Ma’am?«, fragte der Sergeant und zückte einen Notizblock. »Offenbar ist er mit der alten Dame abgehauen.«
»Ich habe keine Ahnung«, sagte Jasmina. Während die Männer die Trage in den Krankenwagen schoben, strich sie mit der Hand über Georges tränenverschmiertes Gesicht und fragte ihn: »Wohin ist dein Daddy gefahren?«
»Nach Mekka, hat er gesagt. Ich will zu meiner Mummy!«
»Mekka – ist das ein Restaurant oder ein Geschäft oder was?«, fragte der junge Polizist.
»Nein, ich glaube, er meint die Stadt«, sagte Jasmina. Der Major spürte, dass sie ihn ansah.
»Nach Mekka gehen, hat er gesagt«, wiederholte George, der von einem Schluckauf geschüttelt wurde, während die Tränen weiter liefen.
»Na ja, zu Fuß werden die zwei nicht weit kommen«, höhnte der Polizist.
»Ist Daddy mit der alten Tante weg?«, fragte Jasmina, und George schluchzte sofort von neuem los.
»Sie hat meiner Mummy mit der Stricknadel weh getan, und mich hat sie am Arm gekratzt.« Am ganzen Körper zitternd, zeigte er seinen Verband.
»Vielleicht will er seinen Vater schützen. Kinder sagen alles Mögliche, wenn sie verängstigt sind.« Der junge Polizist begann, dem Major auf die Nerven zu gehen.
»Mein Neffe hat mit der Sache nichts zu tun«, erklärte Jasmina.
»Steckt sie und ihre ganze Familie in den Knast!«, rief Noreen, als ihr der Sergeant George in den Krankenwagen hinaufreichte. »Das sind alles Verbrecher!«
»Im Augenblick können wir überhaupt nichts ausschließen.« Der Sergeant warf die Tür des Krankenwagens zu, und die Sirene heulte los. »Ich muss erst Ihren Neffen finden.«
»Ich habe keine Ahnung, wo er ist«, sagte Jasmina. Der Major staunte über ihre ruhige Miene und ihren klaren Blick. »Aber dass er nicht nach Mekka aufgebrochen ist,
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