Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
verschränkte die Arme vor der Brust und bemühte sich, nicht loszuschluchzen, nicht um Bertie und sich selbst und ihrer beider unausweichlichen Schicksale wegen zu weinen.
Das warme Sonnenlicht richtete ihn wieder auf. Ein kleiner brauner Buchfink, der an den Blättern der Eibe zupfte, schien ihn wegen seiner Schwermütigkeit auszuschimpfen. Er öffnete die Augen, sah den strahlenden Nachmittag und sagte sich, dass ihm ein kurzer Spaziergang durchs Dorf guttun würde. Er könnte in den Laden gehen und Tee kaufen. Er fand, dass es eine noble Geste wäre, dort vorbeizuschauen und der so vielbeschäftigten Mrs. Ali Gelegenheit zu geben, sich für ihr Nichterscheinen zu entschuldigen.
Obwohl er nun schon viele Jahrzehnte, als Mann und als Junge, in Edgecombe St. Mary verbracht hatte, erfüllte ihn der Gang ins Dorf hinunter jedes Mal wieder mit Freude. Die schmale Asphaltstraße fiel links und recht so steil ab, als wäre sie das gewölbte Dach einer verborgenen Kammer. Dichte Liguster-, Weißdorn- und Buchenhecken drängten sich breit und selbstgefällig aneinander. Ihr würziger, herber Duft erfüllte die Luft; darüber lag der scharfe Geruch der Tiere auf den Weiden hinter den Cottages. Tore und Zufahrtswege boten flüchtige Blicke auf üppige Gärten und dichte, mit Klee und Löwenzahn gesprenkelte Rasenflächen. Der Major mochte den Klee. Er sah ihn als Sinnbild dafür, dass das Land unablässig herandrängte und still und leise jeden Plan durchkreuzte, der Natur durch Gartenpflege ein vorstädtisches Aussehen aufzuzwingen. Hinter einer Kurve wichen die Hecken dem schlichten Drahtzaun einer Schafweide und gaben den Blick auf dreißig Kilometer weite Sussex-Landschaft jenseits der Dächer des unten liegenden Dorfes frei. Hinter dem Major erhoben sich über seinem eigenen Haus die Hügel bis hinauf zu dem von Kaninchen zerrupften Gras der Kreidefelsen. Unter ihm barg der Weald of Sussex Felder mit Winterroggen und grellgelbem Senf. Beim Zauntritt blieb er gern eine Weile stehen, einen Fuß oben auf der Bohle, um die Landschaft in sich aufzusaugen. Irgendetwas – ob nun das Licht oder die endlose Vielfalt der Grüntöne in den Hecken und Bäumen – erfüllte sein Herz unweigerlich mit einer Liebe zum Land, die auszusprechen ihm peinlich gewesen wäre. Heute lehnte er sich an den Tritt und versenkte sich in die Farben der Landschaft, um ruhiger zu werden. Sein Vorhaben, der Besuch im Laden, hatte sein Herz schneller schlagen lassen und den dumpfen Schmerz mit einer drängenden, nicht unangenehmen Aufgeregtheit überzogen. Der Laden lag nur ein paar hundert Meter weiter unten, und das Wunder der Schwerkraft kam ihm zu Hilfe, als er sich vom Zauntritt abstieß und den Weg ins Tal fortsetzte. Unten angelangt, bog er ab, nachdem er den Royal Oak Pub passiert hatte, dessen Fachwerkfassade fast gänzlich von Blumenampeln mit unnatürlich gefärbten Petunien verdeckt war. Dann kam, hinter dem sanft ansteigenden Rund der Dorfwiese, der Laden in Sicht.
Das orangerote Plastikschild mit der Aufschrift »Supersaver SuperMart« funkelte in der tiefstehenden Septembersonne. Mrs. Alis Neffe klebte gerade ein großes Plakat ans Schaufenster, das für Dosenerbsen im Angebot warb. Der Major blieb abrupt stehen. Er hätte lieber gewartet, bis der Mann verschwunden war. Dessen ständig finsteren Blick konnte er einfach nicht ausstehen, auch wenn dieser Gesichtsausdruck, das gab er zu, vielleicht nur durch die unschön markanten Augenbrauen zustande kam. Es war, wie der Major sich schon mehr als einmal tadelnd gesagt hatte, eine lächerliche und unverzeihliche Abneigung, die jedoch auch diesmal wieder dazu führte, dass er den Griff um den Spazierstockknauf verstärkte, während er über die Wiese marschierte und den Laden betrat. Beim Läuten der Türglocke hob der junge Mann den Blick. Er nickte dem Major zu, der seinerseits mit einem etwas zurückhaltenderen Nicken reagierte und sich nach Mrs. Ali umsah.
In dem Laden stand eine kleine Theke mit einer Registrierkasse, dahinter waren Zigarettenschachteln aufgereiht. Auch einen Lotto-Computer gab es. Durch den gesamten niedrigen rechteckigen Raum erstreckten sich vier zwar sehr schmale, aber saubere Gänge, gesäumt von Regalen mit einem großen Angebot an einfachen Nahrungsmitteln wie Bohnen, Brot, Beuteltee, Nudeln, Tiefkühl-Currys, aber auch Spiralpommes und Chicken-Nuggets für die Kinder. Außerdem gab es eine große Auswahl an Schokolade und anderen Süßigkeiten, einen
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