Mrs. Alis unpassende Leidenschaft
mittlerweile von schäbigen Jugendlichen mit Marschstiefeln und schlechten Zähnen beansprucht, deren einziges Ziel darin besteht, ihren eigenen Lebensstandard anzuheben. Trotzdem glaube ich, dass es immer noch einige Wenige gibt, die weiterhin an das England glauben, das Kipling so liebte. Aber leider sind wir nur ein verstaubtes Häuflein Übriggebliebener.«
»Mein Vater hat an diese Dinge geglaubt«, erwiderte Mrs. Ali. »So, wie aus den Sachsen und den Normannen
ein
englisches Volk wurde, so hörte er nie auf zu glauben, dass England eines Tages auch uns akzeptieren würde. Er wartete nur darauf, dass man ihn darum bat aufzusatteln und als echter Engländer zusammen mit De Aquila von einem Leuchtturm zum anderen zu reiten.«
»Alle Achtung!«, sagte der Major. »Andererseits besteht heutzutage kaum mehr Bedarf an der Kontrolle von Leuchttürmen – angesichts von Atombomben und so weiter.« Er seufzte. Es war wirklich ein Jammer, dass die Kette von Leuchttürmen an der Südküste Englands zu niedlichen Freudenfeuern für die Fernsehkameras bei der Millenniumsfeier und dem Krönungsjubiläum der Königin verkommen war.
»Ich meinte das metaphorisch«, erklärte Mrs. Ali.
»Selbstverständlich, gnädige Frau. Aber noch schöner ist doch die Vorstellung, wie er, die lodernde Fackel in der Hand, im ganz wörtlichen Sinne auf die Talhöhe des Devil’s Dyke zureitet. Die klirrenden Pferdegeschirre, die donnernden Hufschläge, die Schreie seiner englischen Landsleute und der Geruch der brennenden Fackel, die neben der Sankt-Georgs-Fahne einhergetragen wird …«
»Ich glaube, er wäre schon damit zufrieden gewesen, nicht immer ganz zufällig vergessen zu werden, wenn das Kollegium sich auf einen Drink im Pub an der Ecke verabredete.«
»Ach ja«, sagte der Major. Er hätte gern etwas Tröstliches erwidert – etwa, dass er persönlich stolz darauf gewesen wäre, mit ihrem Vater ein Glas Bier trinken zu dürfen. Dies verhinderte jedoch die unangenehme Tatsache, dass weder er selbst noch irgendjemand, den er kannte, jemals daran gedacht hatte, ihren Mann auf einen Drink im Pub einzuladen. Natürlich hatte das rein soziale Gründe gehabt, dachte er, es war keine Frage der Hautfarbe. Und schließlich war Mr. Ali nie von sich aus hingegangen, hatte nie versucht, das Eis zu brechen. Wahrscheinlich war er ohnehin Abstinenzler gewesen. Doch keiner dieser Gedanken war auch nur ansatzweise brauchbar; geistig zappelte der Major am Haken wie ein Fisch, der nach der nutzlosen Luft schnappt.
»Meinem Vater hätte dieses Zimmer gefallen.« Mrs. Alis Blick umfasste die Kaminecke, die hohen Bücherregale an zwei Wänden, das bequeme Sofa und die ungleichen Lehnstühle, jeweils von einem Tischchen und einer guten Leselampe begleitet. »Ich fühle mich sehr geehrt von Ihrer liebenswürdigen Einladung in Ihr Haus.«
»Oh nein«, entgegnete der Major und errötete bei dem Gedanken, wie oft es ihm nicht in den Sinn gekommen war, eine solche Einladung auszusprechen. »Die Ehre ist ganz meinerseits, und ich empfinde es als einen großen Verlust, nie Gelegenheit gehabt zu haben, Gastgeber für Sie und Ihren Mann zu sein. Als einen überaus großen Verlust.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen«, sagte Mrs. Ali. »Es wäre schön gewesen, wenn Ahmed dieses Haus gesehen hätte. Ich habe immer davon geträumt, dass wir uns eines Tages ein Häuschen kaufen – ein echtes Sussex-Cottage mit weiß verschalter Fassade und ganz vielen Fenstern auf den Garten.«
»Aber direkt über dem Laden zu wohnen, ist doch wahrscheinlich sehr praktisch.«
»Na ja, es hat mir nie etwas ausgemacht, dass es ein bisschen beengt ist. Aber seitdem mein Neffe da ist … Und ich habe auch nur ganz wenig Platz für Bücherregale wie diese hier.« Sie lächelte ihn an, und er war glücklich darüber, dass sie seine Bücherliebe teilte.
»Mein Sohn ist der Meinung, ich sollte das meiste davon wegwerfen«, sagte der Major. »Seiner Ansicht nach brauche ich eine freie Wand für ein Entertainment Center und einen großen Fernseher.«
Roger war schon mehr als einmal mit dem Vorschlag angekommen, er solle seine Büchersammlung verkleinern, um das Zimmer moderner einzurichten, und hatte angeboten, ihm einen raumfüllenden Fernsehapparat zu schenken, damit er »abends etwas zu tun habe«.
»Wahrscheinlich ist es einfach so, dass die jüngere Generation versuchen muss, die Führung zu übernehmen und das Leben der Älteren zu bestimmen«, sagte Mrs. Ali. »Seit
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