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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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Familienzugehörigkeit entzogen werden sollte, aber er wusste, dass dieser Zeitpunkt in seinem Fall längst überschritten war.
    Jetzt hatte er den schmollenden Roger am Hals, der so tat, als gehörte das Haus ihm und der Major und sein Gast wären stattdessen die Eindringlinge. Als er die Hintertür erreicht hatte, kam Roger keuchend, mit vor Wut hochrotem Gesicht heraus, die Finger auf der Tastatur des Handys. »Da ist ein Mann im Haus, der behauptet, er wohnt hier«, sagte er. »Sandy hat ihn in ein Gespräch verwickelt, aber ich habe die Polizei auf Kurzwahl.«
    »Um Gottes willen, nicht die Polizei rufen!«, sagte der Major. »Das ist doch nur Abdul Wahid.«
    »Abdul was? Wer zum Teufel ist das? Ich hätte ihm um ein Haar einen Esszimmerstuhl über den Kopf gezogen.«
    »Bist du verrückt? Wieso hältst du meinen Gast für einen Eindringling?«
    »Ist das vielleicht absurder, als davon auszugehen, dass sich mein Vater plötzlich mit halb Pakistan angefreundet hat?«
    »Und mit diesem ›Eindringling‹ hast du Sandy allein gelassen?«
    »Ja, sie lenkt ihn ab. Sie unterhält sich mit ihm über handgenähte Kleidung. Sandy hat erkannt, dass sein Schal irgend so ein Vintage-Tribal-Teil ist, da hat er sich wieder beruhigt. Ich habe mich weggeschlichen, um rauszufinden, ob er sauber ist.«
    »Das nenne ich wahre Ritterlichkeit«, sagte der Major.
    »Du hast doch selbst gesagt, dass er nicht gefährlich ist«, entgegnete Roger. »Also wer zum Teufel ist der Mann, und was macht er hier?«
    »Ich glaube nicht, dass dich das etwas angeht. Ich helfe schlicht und einfach einer Freundin aus der Klemme, indem ich ihren Neffen ein paar Tage, im Höchstfall ein paar Wochen bei mir aufnehme. Sie wollte die Verlobte bitten, bei ihr einzuziehen, und – es ist ein bisschen kompliziert.«
    Er fühlte sich selbst auf etwas schwankendem Boden. Es war schwer, die Einladung zu rechtfertigen, wenn nicht einmal er so recht verstand, mit welchem Ziel Mrs. Ali Amina und George sofort in der Wohnung über dem Laden untergebracht hatte. Sie hatte den kleinen George so hungrig angesehen, aber diesen Blick hatte der Major erst im Nachhinein erkannt. Es war der gleiche Blick, mit dem Nancy manchmal Roger betrachtet hatte, wenn sie sich unbeobachtet glaubte. So hatte sie ihn am Tag seiner Geburt betrachtet und dann wieder, als sie im Krankenhaus dahinsiechte. In dem nach Bleichmittel riechenden Zimmer mit dem flackernden Neonlicht und der lächerlichen neuen Tapetenbordüre – lila Malvenblüten – hatte Roger wie immer nur von sich geredet, als würden seine fröhlich vorgetragenen Aussichten auf Beförderung die Realität ihres Sterbens auslöschen. Und sie hatte ihn angesehen, als wollte sie sich sein Gesicht in ihr schwindendes Gedächtnis brennen.
    »Klingt ziemlich lächerlich«, sagte Roger in einem so hochfahrenden Ton, dass sich der Major fragte, wie sein Sohn wohl reagieren würde, wenn er ihm kurz und bündig einen Hieb mit dem Rechenstiel verpasste. »Aber jetzt sind Sandy und ich ja hier, und du kannst uns als Vorwand nehmen, um ihn loszuwerden.«
    »Es wäre ganz und gar unhöflich, ihn ›loszuwerden‹«, entgegnete der Major. »Er hat meine Einladung angenommen – eine Einladung, die ich vielleicht nicht ausgesprochen hätte, wäre mir angekündigt worden, dass ihr an diesem Wochenende kommt.«
    »Ich habe doch gesagt, dass wir dich bald besuchen«, sagte Roger. »Vor dem Cottage habe ich es dir gesagt.«
    »Ach Gott, wenn ich meine Wochenenden um die Hoffnung herum planen würde, dass du ein Besuchsversprechen einhältst, wäre ich ein einsamer alter Mann, der inmitten eines wachsenden Stapels frischer Bettwäsche und ungegessenen Kuchens säße. Abdul Wahid ist wenigstens erschienen, als er eingeladen war.«
    »Er ist ja bestimmt ein netter Kerl, aber in deinem Alter kann man gar nicht vorsichtig genug sein«, sagte Roger. Dann hörte er auf zu sprechen und sah sich um, als wollte er irgendwelche Lauscher aufspüren. »Es sind schon viele alte Menschen von Trickbetrügern reingelegt worden.«
    »Was meinst du mit ›alte Menschen‹?«, fragte der Major ein wenig empört.
    »Und bei Ausländern muss man ganz besonders vorsichtig sein.«
    »Gilt das auch für Amerikanerinnen? Ich sehe da nämlich gerade eine«, entgegnete der Major. Sandy stand in der Türöffnung und betrachtete den langen Vorhang. Der Major wünschte, das Mohnblumenmuster wäre an den Rändern nicht zu einem hellbraunen Farbton ausgebleicht.
    »Sei

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