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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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augenrollenden Blick zu. »Man nennt das pragmatisches Denken, Dad. Die Welt, wie sie nun mal ist. Wenn wir uns weigern würden, mit moralisch bedenklichen Menschen Geschäfte zu machen, würde das Geschäftsvolumen um die Hälfte sinken, und die guten Menschen wie wir würden arm werden. Und wo wären wir dann?«
    »Vielleicht auf einem schönen, trockenen Fleckchen Erde namens moralische Überlegenheit«, schlug der Major vor.
     
    Roger und Sandy gingen ihren Einkaufskorb holen, und während der Major versuchte, nicht an Trüffel zu denken, die er stets gemieden hatte, weil sie wie Schweißfüße stanken, kam Abdul Wahid aus dem Haus. Wie immer trug er mehrere verstaubte religiöse Schriften fest unter den Arm geklemmt und zog ein verdrießliches Gesicht, das, wie dem Major jetzt klarwurde, nicht so sehr Missmut ausdrückte, als vielmehr das Ergebnis exzessiven Nachdenkens war. Der Major wünschte, junge Männer würden weniger grübeln, denn es endete immer in absurden revolutionären Bewegungen oder, wie im Fall einiger seiner ehemaligen Schüler, im Verfassen sehr, sehr schlechter Gedichte.
    »Ihr Sohn ist zu Besuch gekommen«, sagte Abdul Wahid. »Ich sollte gehen.«
    »Nein, nein, nein«, entgegnete der Major, der sich allmählich an Abdul Wahids schroffe Redeweise gewöhnte und sie nicht mehr als kränkend empfand. »Sie müssen deswegen nicht gleich verschwinden. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass Sie das Zimmer haben können, so lange Sie wollen.«
    »Er hat seine Verlobte dabei. Ich muss Sie beglückwünschen. Sie ist sehr schön.«
    »Ja, aber andererseits ist sie Amerikanerin. Es gibt wirklich keinen Grund, weshalb Sie ausziehen müssten.« Er fand es ziemlich albern, dass der junge Mann vor jeder nichtverheirateten Frau, auf die er stieß, Reißaus nehmen wollte.
    »Sie brauchen jetzt das Gästezimmer«, erwiderte Abdul Wahid. »Ihr Sohn hat klar und deutlich gesagt, dass er mehrere Wochenenden hier verbringen wird, bis das Cottage bewohnbar ist.«
    »Tatsächlich?« Dem Major fiel keine spontane Entgegnung ein. Er bezweifelte, dass das Gästezimmer in diesem Fall benötigt wurde, aber er begriff, dass diese Information Abdul Wahids Auszug nur beschleunigen und ihn selbst überdies in die unangenehme Lage bringen würde, auf die Schlafordnung seines Sohnes hinzuweisen.
    »Ich muss zurück in den Laden, und Amina und George müssen zurück in die Stadt zu ihrer Tante«, sagte Abdul Wahid mit fester Stimme. »Diese ganze Idee, dass wir wieder zusammen sein könnten, ist einfach idiotisch.«
    »Schon viele Idioten wurden später als Genies bezeichnet. Man muss doch nichts übers Knie brechen. Ihre Tante ist offenbar der Ansicht, dass die Verwandtschaft einlenken wird. Und sie ist ganz verliebt in den kleinen George.«
    »Meine Tante hat mit Ihnen über die Sache gesprochen?«, fragte Abdul Wahid.
    »Ich kannte Ihren Onkel«, sagte der Major, aber da er wusste, dass das gelogen war, konnte er Abdul Wahid dabei nicht in die Augen sehen.
    »Meine Tante hat sich schon immer über die üblichen und notwendigen Grenzen des wirklichen Lebens hinweggesetzt. Sie betrachtet das fast als eine Pflicht. Aber ich sehe darin nur eine Schwäche, und wenn ich diesem Durcheinander kein Ende bereite, wird meiner Tante diesmal das Herz brechen, fürchte ich.«
    »Jetzt bleiben Sie erst mal zum Mittagessen, und dann gehen wir gemeinsam zum Laden.« Der Major befürchtete, Abdul Wahid könnte recht haben. Wenn Mrs. Ali weiterhin all ihre Träume von Kindern und Enkelkindern in George investierte, würde es ihr vielleicht wirklich das Herz brechen. Andererseits wollte er nicht, dass der junge Mann eine Krise herbeiführte. Außerdem verspürte er eine gewisse Lust, Roger seinen Gast – oder besser gesagt, die beiden sich gegenseitig – zuzumuten in der Hoffnung, einen jeden von ihnen aus seiner moralischen Selbstgefälligkeit herauszureißen. »Ich möchte, dass Sie meinen Sohn richtig kennenlernen.«
    Abdul Wahid stieß einen merkwürdig meckernden Laut aus, und der Major sah, dass er tatsächlich lachte.
    »Major, Ihr Sohn und seine Verlobte haben Ihnen ein ganzes Festmahl an Pasteten, Schinken und anderen Schweinefleischprodukten mitgebracht. Mein Glaube und ich haben es gerade noch geschafft, aus der Küche zu flüchten.«
    »Wir können Ihnen bestimmt ein Käsesandwich oder etwas in der Art machen.« Abdul Wahid scharrte mit den Füßen, und der Major trug seine Einladung noch einmal energisch vor. »Ich möchte, dass Sie

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