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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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mit uns am Tisch sitzen.«
    »Ich beuge mich selbstverständlich Ihren Wünschen«, sagte Abdul Wahid. »Wenn Sie erlauben, werde ich ein Glas Tee trinken.«
     
    Über den Küchentisch war ein dem Major unbekanntes blaugestreiftes Tischtuch aus Sackleinen gebreitet worden. Seine besten Weingläser – diejenigen, die er immer nur an Weihnachten benutzte – standen neben giftgrünen Plastiktellern. Aus einem Sektkübel, den er nie benutzt hatte, ragte eine Flasche Sprudelwasser hervor und wurde allem Anschein nach von wirklich jedem Eiswürfel gekühlt, der im Gefrierfach aufzutreiben gewesen war. Seltsame Senfsorten waren in seine porzellanenen Fingerschälchen umgefüllt worden, und in einer ihm ebenfalls unbekannten, einer Baumwurzel ähnelnden Vase stand ein Strauß gelber Callas, die in trägem Bogen auf die Tischplatte gesunken waren. Sandy bemühte sich gerade, weitere welkende Callas in die allerlei kleinen Vasen und Gefäße auf dem Kaminsims zu stopfen. Roger und sie hatten ein unnötiges, aber apartes Feuer entfacht, und der Major fragte sich, ob sie in Putney auch Brennholz gekauft hatten. Roger stand am Herd und briet irgendetwas.
    »Hat deine Jacke Feuer gefangen, Roger, oder kochst du nur einfach etwas aus Tweed?«, fragte der Major.
    »Nur ein paar Scheiben Trüffel sautiert mit Foie gras und Sauerampfer«, antwortete Roger. »Das haben wir letzte Woche in einem Restaurant gegessen, und es war so köstlich, dass ich es selbst einmal ausprobieren wollte.« Er stocherte in der Pfanne herum, die sich allmählich schwarz färbte. »Aber es riecht nicht ganz so wie beim Chefkoch. Vielleicht hätte ich besser Gänse- statt Schweineschmalz nehmen sollen.«
    »Wie viele werden wir denn zum Mittagessen sein?«, fragte der Major. »Erwarten wir noch eine Busreisegesellschaft?«
    »Ich habe Reste miteingeplant, damit du nächste Woche etwas zu essen hast, Dad.« Roger schüttete den Pfanneninhalt in eine flache Schüssel und versenkte die schwarze, zischende Pfanne in der Küchenspüle, wo sie weiter vor sich hin qualmte.
    »Haben Sie einen Korkenzieher, Ernest?«, fragte Sandy, und die Entrüstung des Majors über die Andeutung, man müsse ihn mit Essen versorgen, wich dem Gefühl, ein kulturelles Missverständnis aufklären zu müssen.
    »Abdul Wahid hat eingewilligt, mit uns am Tisch zu sitzen, deshalb werde ich Teewasser aufstellen und uns einen schönen Krug Zitronenwasser machen«, sagte er. Sandy hielt inne und wiegte eine Flasche Wein an ihrer Hüfte.
    »Also hör mal, müssen wir wirklich …«, ereiferte sich Roger.
    »Bitte nehmen Sie keine Rücksicht auf mich«, verkündete Abdul Wahid. »Sie sollen trinken, was Sie wollen.«
    »Nicht übel, mein Lieber!«, sagte Roger. »Wenn jeder solche Manieren an den Tag legen würde, hätten wir morgen die Nahostkrise gelöst.« Er verbog die Lippen zu einem sterilen Lächeln und bleckte dabei die unnatürlich weißen Zähne.
    »Kommen Sie, setzen Sie sich zu mir, Abdul Wahid«, sagte Sandy. »Ich würde gern mehr über die traditionelle Webkunst in Pakistan erfahren.«
    »Da werde ich keine große Hilfe sein«, meinte Abdul Wahid. »Ich bin in England aufgewachsen. In Pakistan galt ich als Tourist und Engländer. Den Schal habe ich in einem Kaufhaus in Lahore gekauft.«
    »Es geht doch nichts über ein Glas klares, kaltes Wasser«, erklärte der Major, der immer noch in der kleinen Schublade neben dem Herd nach einem Korkenzieher kramte. Sandy reichte ihm die Weinflasche und setzte sich neben Abdul Wahid.
    »Du wirst dir doch wohl kaum einen schönen 75 er Margaux entgehen lassen, Vater«, sagte Roger. »Den habe ich extra für dich ausgesucht.«
     
    Der Genuss zweier großer Gläser eines ordentlichen Bordeaux mitten am Tag gehörte nicht zu den Gewohnheiten des Majors, aber er musste zugeben, dass sie dem Essen, bei dem es andernfalls ziemlich gezwungen zugegangen wäre, eine rosige Stimmung verliehen. Sandys makellos geschminktes Gesicht schimmerte weich im Dunst aus Kaminfeuer und Wein. Rogers wichtigtuerische Anordnungen – er hatte Sandy und ihn gezwungen, den Wein im Glas zu schwenken und die Nase hineinzustecken, als hätten sie nie zuvor einen guten Tropfen getrunken – wirkten fast liebenswert. Der Major fragte sich, ob sein Sohn auch vor seinen Freunden in London so bemüht auftrat und ob sie ihm seinen Überschwang nachsahen oder ihn hinter seinem Rücken wegen seiner kläglichen Versuche, alle herumzukommandieren, auslachten. Abdul Wahid

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