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Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Mrs. Alis unpassende Leidenschaft

Titel: Mrs. Alis unpassende Leidenschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helen Simonson
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Ladens, in der einen Hand ein sauberes Staubtuch, in der anderen einen kleinen grünen Apfel. »Der da ist viel kleiner als die anderen.«
    »Dann ist er viel zu klein, um ihn zu verkaufen«, sagte Mrs. Ali. »Hast du Lust, ihn für mich zu essen?«
    »O ja«, sagte George mit breitem Grinsen. »Ich wasche ihn.« Er ging wieder nach hinten. Mrs. Ali blickte ihm eine Zeitlang nach, und der Major beobachtete, wie sich ein entspanntes Lächeln über ihr Gesicht breitete.
    »Ich glaube, Sie haben ein besonderes Gespür für Kinder«, sagte er. »Aber im Fall von offener Bestechung sollte ich mich mit meinem Urteil vielleicht besser zurückhalten.« Er hatte sie zum Lachen bringen wollen, doch als sie zu ihm aufblickte, war ihr Gesicht ernst. Sie fuhr sich mit beiden Händen über den Rock, und er sah, dass sie zitterten.
    »Ich muss Ihnen etwas erzählen«, sagte sie. »Ich soll es eigentlich niemandem erzählen, aber vielleicht wird es für mich selbst verständlicher, wenn ich es doch tue …« Ihre Stimme erstarb; sie betrachtete ihre Hände, als suchte sie den verlorenen Gedankenfaden zwischen den blassblauen Adern.
    »Sie müssen mir nichts erzählen«, sagte der Major. »Aber Sie können sicher sein, dass ich, was immer Sie erzählen möchten, streng vertraulich behandeln werde.«
    »Ich bin ziemlich durcheinander, wie Sie sehen.« Sie warf ihm einen Blick zu, und wieder zeigte sich dabei nur ein Abglanz ihres gewohnten Lächelns. Er wartete. »Amina und George haben gestern bei uns übernachtet. Es hat sich herausgestellt, dass George mein Großneffe ist. Er ist der Sohn von Abdul Wahid.«
    »Ach, wirklich?« Der Major tat, als wäre ihm das völlig neu.
    »Wie hatte ich das nicht ahnen, nicht spüren können?«, fragte Mrs. Ali. »Und doch bin ich jetzt, nachdem Amina es gesagt hat, durch eine tiefe Liebe mit diesem kleinen Jungen verbunden.«
    »Sind Sie sicher, dass es stimmt? Es soll ja durchaus vorkommen, dass Menschen ihren Vorteil aus so etwas ziehen.«
    »Der Kleine hat die Nase meines Mannes.« Sie blinzelte, aber eine Träne konnte entschlüpfen und lief an ihrer linken Wange hinab. »Es war ganz offensichtlich, aber ich habe es nicht gesehen.«
    »Dann darf man Ihnen also gratulieren?«, fragte der Major, obwohl er den Satz gar nicht als Frage hatte formulieren wollen.
    »Danke, Major. Aber ich kann nun einmal nicht leugnen, dass die Sache Schande über meine Familie bringt, und ich hätte Verständnis, wenn Sie unsere Bekanntschaft lieber nicht fortsetzen wollten.«
    »So ein Unsinn! Diesen Gedanken hatte ich nicht eine Sekunde lang.« Der Major spürte, dass er bei dieser kleinen Lüge rot wurde. Er kämpfte mit aller Kraft gegen das Bedürfnis an, den Laden zu verlassen und sich aus dieser alles in allem doch höchst unangenehmen Situation zu befreien.
    »Eine solche Schmach darf es in guten Familien nicht geben«, sagte Mrs. Ali.
    »Ach, das geht doch schon seit Tausenden von Jahren so«, entgegnete der Major, dem Drang nachgebend, nicht nur ihr, sondern auch sich selbst etwas vorzumachen. »Wobei die Viktorianer natürlich am allerschlimmsten waren.«
    »Aber die Schande wirkt so unbedeutend im Vergleich mit diesem wundervollen Kind.«
    »Die Leute klagen ständig, die Sitten seien so locker geworden«, fuhr der Major fort. »Aber meine Frau hat immer behauptet, dass die früheren Generationen genauso lax waren – sie haben es nur diskreter gehandhabt.«
    »Ich wusste, dass sie Abdul Wahid weggeschickt hatten, weil er sich in irgendein Mädchen verliebt hatte«, sagte Mrs. Ali. »Aber ich wusste nicht, dass ein Kind unterwegs war.«
    »Wusste er es denn?«
    »Er sagt nein.« Ihre Miene verdüsterte sich. »Eine Familie tut vieles, um ihre Kinder zu schützen, und ich fürchte, dieser jungen Frau wurde das Leben sehr schwergemacht.« Während der Stille, die nun eintrat, suchte der Major vergeblich nach tröstlichen Worten. »Jedenfalls sind Amina und George jetzt hier, und ich muss alles in Ordnung bringen.«
    »Was werden Sie tun?«, fragte der Major. »Ich meine, Sie wissen doch kaum etwas über die junge Frau.«
    »Aber ich weiß, dass wir sie hierbehalten müssen, bis wir sie besser kennengelernt haben.« Mrs. Ali reckte das Kinn zu einem wunderschönen Bogen der Entschlossenheit. Der Major sah, dass diese Frau eine Mission hatte. »Sie bleiben jetzt erst mal mindestens eine Woche bei mir, und wenn Abdul weiterhin im Auto schlafen will, soll er das tun.«
    »Er schläft im Auto?«
    »Mein

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