Mrs Murphy 01: Schade, dass du nicht tot bist
sich in einen Korb mit knisterndem Papier. Tucker steckte ihre Nase in den Korb. Knistergeräusche entzückten die Katze, aber Tucker dachte: Ein schöner Knochen ist mir allemal lieber. Sie stupste Mrs Murphy an.
»Tucker, das ist mein Korb.«
»Ich weiß. Was glaubst du, hat Pewter gemeint?«
»Pah, sie wollte sich bloß wichtigmachen. Sie wollte, dass ich um Neuigkeiten bettle. Und ich bin froh, dass ich’s nicht getan habe.«
Während die zwei Tiere die Feinheiten von Pewters Persönlichkeit besprachen, vertieften sich Harry und Maude in ein ernsthaftes Gespräch von Frau zu Frau über Scheidung, ein Thema, in dem Maude sich auskannte, da sie eine Scheidung durchgemacht hatte, bevor sie nach Crozet zog.
»… ist eine Achterbahn«, seufzte Maude.
»Es wäre viel leichter, wenn ich ihn nicht die ganze Zeit sehen müsste und wenn er ein bisschen Verantwortung übernähme für das, was passiert ist.«
»Erwarte nicht, dass die Krise ihn ändert, Harry. Du bist vielleicht dabei, dich zu verändern. Ich glaube, ich kann das beurteilen, auch wenn wir uns noch nicht seit einer Ewigkeit kennen. Aber deine Entwicklung ist nicht seine Entwicklung. Ich hab jedenfalls mit Männern die Erfahrung gemacht, dass sie alles tun, um eine gefühlsmäßige Entwicklung zu vermeiden, dass sie vermeiden, tief nach innen zu schauen. Worum sonst geht es bei Geliebten, Alkohol und Porsches?« Maude setzte ihre hellrot gerahmte Brille ab und lächelte.
»Also, ich weiß nicht. Das ist alles neu für mich.« Harry setzte sich. Sie war plötzlich müde.
»Scheidung ist ein Ablösungsprozess, ganz besonders die Ablösung von seiner Fähigkeit, auf dich einzuwirken.«
»Er kann verdammt nachdrücklich auf mich einwirken, wenn er den Scheck nicht schickt.«
Maude verdrehte die Augen. »Dieses Spielchen spielt er mit dir? Vermutlich versucht er, dich mürbezumachen oder dir Angst einzujagen, damit du dich am Tag des Jüngsten Gerichts mit weniger zufriedengibst. Mein Ex-Mann hat das auch probiert. Ich vermute, das machen sie alle, oder ihre Anwälte überreden sie dazu, und wenn sie dann mal einen Augenblick Zeit haben, darüber nachzudenken, was das für eine Gemeinheit ist – falls sie überhaupt nachdenken –, dann ringen sie die Hände und sagen: ›Das war nicht meine Idee. Mein Anwalt hat das veranlasst.‹ Nur die Ruhe bewahren, Kindchen.«
»Ja.« Das wollte Harry unbedingt. »Nicht um das Thema zu wechseln, aber joggst du immer noch an den Bahngleisen entlang? In dieser Hitze?«
»Klar. Ich versuch’s bei Sonnenaufgang. Sonst ist es wirklich viel zu heiß. Heute Morgen hab ich Big Jim überholt.«
»Beim Joggen?«
»Nein, ich hab ihn überholt, als ich in die Stadt zurücklief. Er war mit dem Sheriff unterwegs. So schrecklich Kellys Tod war, ich glaube wahrhaftig, dass er Jim eine Art Kitzel verschafft.«
»Ich bezweifle, dass in dieser Stadt viel Aufregendes passiert ist, seit Crozet die Tunnels gegraben hat.«
»Was?« Maudes Augen leuchteten auf.
»Seit Claudius Crozet den letzten Tunnel durch die Blue Ridge Mountains fertiggestellt hat. Die Stadt wurde deswegen tatsächlich nach ihm benannt. Seit Crozet die Tunnels gegraben hat – das ist eine feste Redewendung. Du musst wissen, dass diejenigen von uns, die hier zur Schule gegangen sind, alles über Claudius Crozet gelernt haben.«
»Oh. Und außerdem alles über Jefferson, Madison und Monroe, nehme ich an. Virginias Glanz liegt anscheinend in der Vergangenheit, mehr als in der Gegenwart.«
»Vermutlich. So, ich nehme diese große Jiffytasche und ein bisschen buntes Papier und zieh Leine, sofern es mir gelingt, Mrs Murphy aus deinem besten Korb zu locken.«
»Ich würde gern noch ein bisschen plaudern. Wie wär’s mit Tee?«
»Nein danke.«
»Little Marilyn war heute hier, total flatterig. Sie brauchte kleine Körbchen für die Jacht-Party ihrer Mutter.« Maude brach in Lachen aus, Harry desgleichen.
Big Marilyns Jacht war ein Pontonboot, das auf dem ansehnlichen See hinter der Villa der Sanburnes schwamm. Sie liebte es, auf dem See zu kreuzen, und besonders gern ärgerte sie ihre Nachbarn am anderen Ufer. Zwischen ihrem Pontonboot und ihrem Bridgeabend mit ihren Freundinnen behielt Mim sozusagen emotionales Oberwasser.
Sie war auch völlig ausgeflippt, als sie das Haus zum zigstenmal umgekrempelt und die Bar neu gestaltet hatte, sodass sie einem Schiff glich. Hinter der Bar befanden sich kleine Bullaugen; Rettungsgürtel und bunte Wimpel zierten die
Weitere Kostenlose Bücher