Mrs Murphy 01: Schade, dass du nicht tot bist
Postkarten lesen. Das ist ein Vergehen, wie Sie wissen, und wenn das so weitergeht, melde ich es Ihrem Vorgesetzten im Hauptpostamt. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Vollkommen.« Harry presste die Lippen zusammen.
Mim schwebte hinaus, zufrieden, weil sie Harry eins ausgewischt hatte. Die Zufriedenheit würde nicht lange anhalten, weil das Gespenst ihres Sohnes zurückkehren und sie verfolgen würde. Wenn Harry so unverfroren war, mit Little Marilyn darüber zu reden, dann redeten auch viele andere darüber.
Harry stülpte den Postsack um. Eine einzelne Postkarte rutschte heraus. Sie las sie trotzig: »Schade, dass Du nicht hier bist«, in Computerschrift geschrieben. Sie drehte sie um und erblickte eine verschwommene beziehungsreiche Fotografie von dem prachtvollen Engel auf einem Friedhof in Asheville, North Carolina. Sie drehte sie wieder um und las das Kleingedruckte. Dies war der Engel, der Thomas Wolfe zu seinem Roman Schau heimwärts, Engel inspiriert hatte.
Sie steckte die Karte in Maude Bly Modenas Fach und vergaß sie.
9
Nachdenklich lenkte Pharamond Haristeen seinen Lieferwagen von Charlottesville zurück. Der Besuch bei Boom Boom hatte ihn aus der Fassung gebracht. Er konnte nicht ergründen, ob sie wirklich trauerte, weil Kelly tot war. Diese Ehe hatte schon seit Jahren keinen rechten Schwung mehr gehabt.
Man konnte sich nicht wappnen gegen Boom Booms Schönheit. Man konnte sich auch gegen ihre eisigen Ausbrüche nicht wappnen. Warum war eine Frau wie Boom Boom nicht klug und verständig wie Harry? Warum konnte eine Frau wie Harry nicht betörend sein wie Boom Boom?
Nach Fairs Meinung war Harry klug und verständig, außer wenn es um die Scheidung ging. Sie hatte ihn rausgeworfen. Warum sollte er Unterhalt zahlen, bevor eine endgültige Vereinbarung getroffen war?
Es war ein schwerer Schock für Fair gewesen, dass Harry ihm den Laufpass gegeben hatte. Seine Eitelkeit litt mehr als sein Herz, aber Fair nutzte die Gelegenheit, den Beleidigten zu spielen. Die älteren Witwen in Crozet ergriffen nur zu gern Partei für ihn, wie die alleinstehenden Frauen überhaupt. Er lief mit trübseliger Miene herum, und prompt ergoss sich eine Flut von Essenseinladungen über ihn. Zum ersten Mal in seinem Leben stand Fair im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Das sagte ihm durchaus zu.
Im tiefsten Innern wusste er, dass seine Ehe nicht funktioniert hatte. Hätte er sich die Mühe gemacht, in sich zu gehen, so hätte er erkannt, dass er an ihrem Scheitern zu fünfzig Prozent mitschuldig war. Fair hatte indes nie die Absicht gehabt, in sich zu gehen, was seiner Ehe zum Verhängnis wurde und zweifellos auch zukünftigen Beziehungen zum Verhängnis werden würde.
Fair handelte nach dem Prinzip »Warum etwas reparieren, wenn es nicht kaputt ist«, aber emotionale Beziehungen waren keine Maschinen. Emotionale Beziehungen eigneten sich nicht für wissenschaftliche Analysen, eine besorgniserregende Einsicht für seinen wissenschaftlich geschulten Verstand. Frauen eigneten sich nicht für wissenschaftliche Analysen.
Frauen machten verdammt viel Ärger, und Fair beschloss, den Rest seiner Tage allein zu verbringen. Die Tatsache, dass er ein gesunder Mann von vierunddreißig Jahren war, tat seinem Beschluss keinen Abbruch.
Auf der Route 240 in östlicher Richtung überholte er Rob Collier. Sie winkten einander zu.
Als hätte der Anblick von Boom Boom auf der Beerdigung ihres Mannes nicht genügt, Fair die Fassung zu rauben, hatte Rick Shaw ihn dann auch noch in der Praxis mit Fragen überfallen. Stand er unter Verdacht? Dass zwei Freunde gelegentlich eine gespannte Beziehung haben, bedeutete noch lange nicht, dass der eine den anderen umbringen wollte. Das hatte er Rick gesagt, worauf der Sheriff erwiderte: »Menschen haben sich schon aus nichtigeren Anlässen umgebracht.« Wenn das so war, dann war die Welt vollkommen wahnsinnig. Selbst wenn sie es nicht war, kam sie ihm heute so vor.
Fair hielt hinter dem Postamt. Als die kleine Tucker seinen Wagen hörte, stellte sie sich auf die Hinterbeine, die Nase ans Glas gedrückt. Er ging zuerst zu Market Shifletts Laden, um sich eine Coca-Cola zu holen. Die sengende Hitze dörrte seine Kehle aus, und auch das Kastrieren von Hengstfohlen trug irgendwie zu seinem Unbehagen bei.
»Hallo, Fair.« Courtneys frisches Gesicht strahlte.
»Na, wie geht’s?«
»Gut. Und dir?«
»Heiß ist mir. Kann ich ’ne Cola haben?«
Sie griff in den alten roten Kasten, einen
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